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Medien und Wahrheit: Der Verlust des Weltwissens

Von Felix Menzel

Von Jahr zu Jahr sinkt das Vertrauen in die Medien, und die Auflagen der großen Blätter befinden sich im Sturzflug. Tausende Menschen gehen auf die Straße und brüllen „Lügenpresse“. Dennoch greift es zu kurz, nur den fehlenden Wahrheitsgehalt vieler Berichte zu kritisieren. Das eigentliche Problem der Massenmedien liegt viel tiefer: Sie konzentrieren sich auf Informationshäppchen und sind nicht mehr in der Lage, ein umfassendes Weltwissen zu vermitteln.

Spätestens seitdem jeder mit seinem Smartphone die Nachrichten in Echtzeit mitverfolgen und über eine Google-Suchanfrage in Windeseile jede noch so entlegene Information aufspüren kann, braucht niemand mehr eine Zeitung, um zu erfahren, was gerade los ist. Jeder kann heute alles wissen, wenn er nur will, doch gerade diese Überflutung mit zusammenhanglosen Fakten macht es so schwer, den Durchblick zu bewahren. Gerade das müßten aber der Anspruch des mündigen Bürgers und die Aufgabe der Medien sein, denen sie immer weniger gewachsen sind, weil die Redakteure und Journalisten in ihrer Ausbildung hauptsächlich darauf trainiert werden, wie man sich konform verhält.

Wie konnte es soweit kommen? Der Philosoph Friedrich Hegel betonte einmal sinngemäß, Gesellschaften würden modern, wenn Nachrichten die Religion als wichtigste Quelle unserer täglichen Orientierung ersetzten. „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, gilt seitdem, wie der Soziologe Niklas Luhmann treffend beschrieben hat. Die Menschen nehmen es dabei in Kauf, daß die Vermittlung der Wirklichkeit niemals auch nur annähernd zufriedenstellend gelingen kann. Entweder ist ein Bericht zu langweilig und wird lediglich wie ein immer gleiches Hintergrundrauschen wahrgenommen. Oder er führt aufgrund von Übertreibungen und ungerechtfertigten Zuspitzungen zu Konfusion, Empörung oder hysterischer Panik, wie man es zum Beispiel nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 erleben konnte.

„Genau richtig“ kann ein Bericht überhaupt nicht sein, weil ihm immer eine selektive Auswahl an Fakten, Kommentaren und Bezügen zugrunde liegt. Dies stellt solange kein Problem für die Leser und Zuhörer dar, wie sie den Eindruck haben, mit ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer Alltagserfahrung die Medienberichte geraderücken zu können. Die Medien müssen die Wirklichkeit also nicht korrekt abbilden. Dies ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn es jedoch zwischen der beschriebenen Realität in den Massenmedien und den Alltagserfahrungen der Menschen überhaupt keine Überschneidungen mehr gibt, führt dies zu schlimmsten Erschütterungen der Sinne, weil dann gerade in einer säkularisierten Welt jegliche Orientierungsgrundlage fehlt.

Hinzu kommt das demokratische Versprechen der Massenmedien auf Teilhabe, das zu keiner Zeit eingelöst werden kann. Zunächst holen uns die Medien an den Konferenztisch der Politik. Sie laden uns dazu ein, die mächtigsten Menschen der Welt kennenzulernen, Probleme mitzuanalysieren und über notwendige Entscheidungen nachzudenken, doch darauf folgt jedes Mal die Enttäuschung des einfachen Bürgers. In Wahrheit ist er nämlich total ohnmächtig und muß die Ausflüchte der Politiker, die faulen Kompromisse und Vertröstungen ertragen, ohne direkten Einfluß nehmen zu können.

Diese unbefriedigende Situation wirkt sich nun auf alle Beteiligten aus: Die Bürger reagieren darauf mit Desinteresse und Wut. Die Medien wiederum glauben, die Bürger dadurch zurückgewinnen zu können, indem sie ihre Inhalte noch boulevardesker aufbereiten und aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Aus Angst vor einer Skandalisierung zittern nun auch die Politiker, da sie befürchten müssen, medial hingerichtet zu werden, wenn sie eine kontroverse Meinung äußern. Aus diesem Grund bevorzugen sie lieber aalglatte Positionen und befeuern gerade damit den Eindruck, die Konsensdemokratie sei von irgendjemandem gleichgeschaltet worden.

Eine Gleichschaltung ist für die Herrschenden jedoch überhaupt nicht nötig, weil es – abgesehen von für das Ganze irrelevanten Nischen – keine öffentlichen Räume gibt, in denen der politische Diskurs zielführender die Probleme von Volk und Staat behandelt. Dies liegt daran, daß die Massenmedien uns das Denken in einer falschen Weise beigebracht haben. Sie haben uns zu einer Hypernervosität (hyper attention) erzogen, statt uns eine Tiefenwahrnehmung (deep attention) zu ermöglichen. Einher geht dies mit einer unterbewußten Bevorzugung alles Kurzfristigen anstelle der wirklich wichtigen Beschäftigung mit langfristigen Problemen.

Wer lediglich an „Medien-Bashing“ interessiert ist, den muß das nicht stören. Der kann weiter gegen die „Lügenpresse“ wettern und wird nur scheinbar alternativen Skandalkanälen vertrauen. Zu einer gründlicheren Analyse und Änderung ihrer Medienrezeption sind dagegen diejenigen aufgefordert, die eine wirklich vertrauenswürdige Orientierung, Identität und eine Änderung des langfristigen politischen Kurses anstreben. Sie müssen erkennen, daß wir keine zusätzlichen Informationen zur Beurteilung der Lage benötigen, sondern eine Konzentration auf das Wesentliche, um ein umfassendes Weltwissen zurückzuerlangen.

Bereits im Jahr 2000 schrieb dazu der Medienwissenschaftler Norbert Bolz im Spiegel: „Unsere großen Probleme resultieren nicht aus einem Mangel an Wissen, sondern an Orientierung; wir sind konfus, nicht ignorant. Aber genau das wird durch den Enthusiasmus des ‚Informationszeitalters‘ und seiner Fakten, Fakten, Fakten verdeckt. Unter dem Druck der neuen Informationstechnologien neigt man dazu, alle Probleme als Probleme des Nichtwissens zu deuten. Aber Sinnfragen lassen sich nicht mit Informationen beantworten. Wer verstehen will, muß Informationen vernichten. Und so kommen wir zu einem paradoxen Resultat. In der Datenflut der Multimediagesellschaft kann ‚Mehrwert‘ nur heißen: weniger Information.“

In unserer heutigen Zeit heißt dies ganz konkret: Es kommt zum Beispiel nicht darauf an, ob in den ersten Monaten des Jahres 2016 zwei- oder dreihunderttausend als „Flüchtlinge“ getarnte illegale Einwanderer nach Deutschland und Österreich kamen. Viel wichtiger ist die innere Bereitschaft zur Verteidigung unserer Kultur, weil wir um ihre Geschichte wissen. Es geht also darum, mit Hilfe unseres komplexen, aber keineswegs zwangsläufig detaillierten Weltwissens die Sinnfragen „Wer sind wir?“, „Woher kommen wir?“ und „Was wollen wir?“ zu beantworten. Dazu ist es noch nicht einmal nötig, 20 Jahreszahlen korrekt wiedergeben zu können. Entscheidender ist vielmehr, die Entwicklung der Dinge in den letzten 200 Jahren richtig einzuschätzen und den auf Weltwissen basierten Mut zu entwickeln, eigene Meinungen unabhängig vom Zeitgeist zu vertreten.

Die Informationshäppchen der Massenmedien setzen dagegen ausschließlich auf Empathie. Beim Anblick eines syrischen Flüchtlingsmädchens, dem es anscheinend ziemlich dreckig geht, sollen wir die emotional nachvollziehbare Schlußfolgerung ziehen, diesem Kind müsse geholfen werden. Auf diese Weise läßt sich jedoch letztendlich jede Meinung erzeugen. Die Rolle des Opfers kann beliebig vergeben werden: ganz egal, ob es sich dabei um Ausländer, Juden, Christen, Muslime, Obdachlose, Wale oder sogar Bäume handelt.

Möglich sind all diese medialen Verzerrungen und Manipulationen jedoch nur, solange den Lesern und Zuhörern das nötige Weltwissen fehlt, um die schrecklichen Bilder einzuordnen. Bleiben wir aus Aktualitätsgründen beim syrischen Flüchtlingsmädchen: Wir brauchen überhaupt keine Informationen über das Schicksal dieses Kindes, um über unsere Geo- und Asylpolitik nachzudenken. Wenn wir also aus den Massenmedien erfahren, wie das Haus der Familie des Mädchens zerbombt wurde und wie gefährlich die Flucht über die Türkei in die Mitte Europas war, dann mag dies eine gute Vorlage für einen bewegenden Roman sein, aber als Handlungsanleitung für die Politik ist es ungeeignetes Material.

Was wir zur Einordnung der Flüchtlingsströme dagegen wissen müssen, sind lauter Dinge, die weder die Massenmedien noch die Schulen oder Universitäten vermitteln. Da wäre zum einen die grobe Kenntnis der Geschichte der westlichen Einmischung auf dem Gebiet des Nahen Ostens. Mitten im Ersten Weltkrieg (Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916) kümmerten sich Frankreich und Großbritannien um die Aufteilung ihrer „Interessensphären“ und sorgten damit für willkürlich gezogene Grenzen, die zu Kriegen zwischen verschiedenen Ethnien und religiösen Strömungen führen mußten.

Zum anderen tummeln sich in Afrika sowie dem erweiterten Mittleren Osten sowieso schon genug überzählige junge Männer, die keine Perspektive haben. Diese Jugendüberschüsse führen zwangsläufig zu Gewalt und instabilen Verhältnissen, selbst wenn es irgendwann zu einer sinnvollen Föderalisierung vieler auf dem Reißbrett geplanter Staaten käme. Diese Probleme nun aber mit Masseneinwanderung nach Europa lösen zu wollen, ist ein völlig absurder Gedanke, da wir damit einerseits nur die multiethnischen und religiösen Konflikte aus den Herkunftsländern importieren und andererseits auch nichts durch kluge Außen- und Geopolitik zu einer Besserung der Situation in der Krisenregion beitragen.

Jeder, der über ein fundiertes Weltwissen verfügt, kann sich zudem ausmalen, daß der Untergang Europas sehr wahrscheinlich ist, wenn die einheimischen Völker ihrer Verdrängung sogar noch freiwillig oder zumindest stillschweigend aufgrund fehlender Wehrhaftigkeit gegenüber den eigenen Regierungen zustimmen. Ein solches Gesellschaftsexperiment ist noch nie gut ausgegangen, und deshalb wird es auch diesmal scheitern.

Wer nur die angenehmen Häppchen der Massenmedien konsumiert, wird auf diese Zusammenhänge jedoch nie kommen. „Mehr Wahrheit“ in den Medien ist in einem umfassenden Sinn also nicht zu erreichen, indem wir lediglich auf die kleinen und großen Manipulationen der Journalisten und Redakteure aufmerksam machen. Das bedeutungsschwere Wort „Wahrheit“ verlangt nach einer viel größeren Aufgabe: der Vermittlung des Weltwissens in einer Zeit der Herkunftsschwäche, wo jeder glaubt, mit seiner individuellen Freiheit bei Null anfangen zu müssen. Gerade bei der Anhäufung von Wissen ist diese falsch verstandene Freiheit jedoch tödlich. Wir können nur überleben, wenn wir mit dem Wissen unserer Vorfahren in die Zukunft schreiten und es uns wieder besser gelingt, trotz der unaufhaltsamen Informationsflut sinnstiftende Inhalte hervorzubringen.

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