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Die Todesmühle der Westfront

Von Jan Ackermeier
Sie sollte ein Symbol für den im blutigen Stellungskrieg erstarrten Kampf an der Westfront des Ersten Weltkriegs werden: die Schlacht von Verdun. Ein Gemetzel von bis dahin noch nie dagewesenem Ausmaß kostete Schätzungen zufolge etwa 800.000 Soldaten auf Seiten Frankreichs und des Deutschen Reichs das Leben – genaue Zahlen konnte man nicht ermitteln.

Ein deutscher Soldat läd seine Waffe, neben ihm ein halbverschütterter französicher Soldat.

Ein deutscher Soldat läd seine Waffe, neben ihm ein halbverschütterter französicher Soldat.

In den Morgenstunden des 21. Februar 1916 beginnt mit einem neunstündigen Trommelfeuer und nachfolgendem Einsatz von Infanteriekräften die Schlacht um Verdun, den nördlichen Eckpfeiler der französischen Festungsfront zwischen Luxemburg und der Schweiz. Die letzten großen Kämpfe haben sich hier Ende Oktober 1914 ereignet. Seitdem ist die Front im Stellungskrieg erstarrt.

„Die Hölle von Verdun” ist später eine Formulierung, die für eine der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs steht. Den Kampf vor der französischen Stadt Verdun bezeichnen die Frontsoldaten auch als „Blutpumpe”, „Knochen-” oder „Todesmühle”. Ständig befinden sie sich, wie Schriftsteller Ernst Jünger später schreibt, „in Stahlgewittern”. Die „Operation Gericht”, wie die Deutschen ihren Großangriff nennen, beginnt am 21. Februar 1916 um 7.15 Uhr. Die erste Granate wird vom Geschütz „Langer Max” abgefeuert, das auf das 27 Kilometer entfernte Stadtzentrum von Verdun zielt. Danach veranstalten mehr als 1.200 deutsche Geschütze, darunter zwölf „Dicke Berthas”, neun Stunden lang ein Trommelfeuer. Der Abwehrgürtel der französischen Forts und Stellungen vor Verdun soll „sturmreif” geschossen werden. Die deutschen Angreifer erhoffen sich eine Entscheidung an der Westfront gegen die Franzosen.

Trotz deutscher Erfolge zu Beginn zeigt sich aber bereits Anfang März 1916, daß ein Durchbruch unwahrscheinlich ist. Dennoch läßt der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn weiter angreifen – monatelang. Auf der Gegenseite befiehlt der französische General Henri Philippe Pétain: standhalten um jeden Preis.

Der Einsatz von Material bei der Schlacht von Verdun ist immens. Neben Flugzeugen und Maschinengewehren kommen auch Flammenwerfer und Giftgas zum Einsatz. Die Soldaten auf beiden Seiten leiden physisch und psychisch: Im Winter frieren ihnen die Füße ab, im Sommer leiden sie unter Durst. Viele Soldaten der vorderen Linien trinken in der Not ihren eigenen Urin, leiden an ständigem Durchfall und dem berüchtigten „Grabenfuß” durch die ständige Feuchtigkeit in den Schützengräben. Wegen fehlender Waschmöglichkeiten werden sie von Läusen, Wanzen und Flöhen befallen. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Verdun-Soldaten beträgt 14 Tage. Oft liegen einzelne Frontabschnitte tagelang ununterbrochen unter Trommelfeuer. Systematisch soll der Gegner zermürbt, seine Kampfkraft geschwächt werden. Schlecht oder sogar gar nicht geschützt ist der Frontsoldat Kälte, Nässe und dem Schlamm des Ödlands ausgesetzt. Tagelange Schlaflosigkeit durch Lärm und Todesangst verursachen psychische Strapazen, die weit über alles Ertragbare hinausgehen.

Das 40 Quadratkilometer große Schlachtfeld gleicht im Sommer 1916 einer Trichterlandschaft mit Baumstümpfen. Auf jedem Quadratmeter – so eine Hochrechnung – sind im Schnitt zwei Granaten explodiert. Von der heiß umkämpften Anhöhe “Toter Mann” sind durch den Dauerbeschuß im Stellungskrieg sogar sechs Meter gewachsenes Erdreich abgetragen worden. Die Landschaft um die Stadt Verdun sieht bald wie eine Kraterlandschaft auf einem unbewohnten Stern aus. Über Dutzende von Kilometern erstreckte sich ein immer wieder von Granaten durchpflügtes, mit tiefen, wassergefüllten Kratern durchzogenes Ödland – das “Niemandsland”. Ein ehemals blühender Landstrich mit seinen Ansiedlungen, Häusern, Straßen und ganzen Wäldern war buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht worden, und niemand vermochte mehr die ehemaligen Städtchen und Häuser in der grauen Schlammwüste zu lokalisieren.

Obwohl es im Ersten Weltkrieg nach Verdun Schlachten von ähnlicher Größenordnung gab – in der Champagne, an der Somme, in den Karpaten – wurde Verdun zum Symbol für die Brutalität und Sinnlosigkeit des modernen Maschinenkrieges, vor allem in Deutschland und Frankreich. Nicht ohne Grund zelebrierten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand 1984 ihre Freundschaft Hand in Hand auf den Gräbern von Verdun.

Die Stadt an der Maas wurde auch deswegen zum Symbol für den Ersten Weltkrieg, weil noch heute das Gelände um die Forts Vaux und Douaumont von den Millionen Granaten gezeichnet ist, die es buchstäblich umpflügten. Auf engstem Raum standen einander hier Franzosen und Deutsche gegenüber, getrieben von einem irrwitzigen Kalkül, in dem es buchstäblich um Ehre und Blut ging.

Der deutsche Plan sah vor, mit aller Macht östlich der Maas anzugreifen und in dem gewonnenen Gelände so viel Artillerie wie möglich aufzubieten. Bei ihrem Versuch, die Deutschen zurückzudrängen, würden die Franzosen wie von selbst in die Reichweite der deutschen Geschütze laufen und dort aufgerieben. Falkenhayns Wort vom „Ausbluten” machte die Runde.

Bald rächte sich, daß General Falkenhayn seine Offensive auf das östliche Maasufer beschränkt hatte. Denn den Franzosen gelang es, ihrerseits eine Artilleriefront auf der westlichen Seite aufzubauen. So kam es, daß die deutschen Verluste bald die gleiche Größenordnung erreichten wie die französischen.

Verdun-FrontNachdem die russische Armee im Juni 1916 die erste Brussilow-Offensive in Galizien und die britische Armee im Juli ihre Offensive an der Somme gestartet hatten, war klar, daß der deutsche Kriegsplan bei Verdun gescheitert war. Aber anstatt die erschöpften Truppen auf eine verkürzte Linie zurückzunehmen, wurde aus Prestigegründen weiter um jeden überflüssigen Meter an der Maas gekämpft. Erst nachdem Falkenhayn im August 1916 von Hindenburg und Ludendorff in der Obersten Heeresleitung abgelöst worden war, ging man daran, die ständigen Angriffe einzustellen.

Heute sind Verdun, seine Friedhöfe, Festungswerke und Laufgräben ein gigantischer Gedenkort, der von dem Beinhaus von Douaumont überragt wird. Seine Friedensbotschaft ist allerdings jüngeren Datums. Früher, nach Ende des Ersten Weltkriegs, stand Verdun dagegen gedanklich im Zentrum künftiger Kriege.

Frankreich schloß aus der Tatsache, daß sich sein Heer in einem Festungswerk lange gegen eine Übermacht halten konnte, daß gegen künftige Angriffe aus dem Osten am besten eine Bunkeranlage sichern würde. Also entstand mit der Maginot-Linie die größte Verteidigungsanlage der Welt, in der die besten Divisionen Frankreichs stationiert waren.

In Deutschland hingegen wurde das Trauma Verdun zum Motiv, darüber nachzudenken, wie ein mörderischer Stellungskrieg künftig verhindert werden könnte. Man fand die Lösung in der Schnelligkeit, die der Verbrennungsmotor ermöglichte. Motorisierte Truppen und Panzer waren es denn auch, die die französische Armee 1940 innerhalb von wenigen Tagen in die Niederlage trieben. An der Maginot-Linie fiel in dieser Zeit kaum ein Schuß.

Trotz des in seinem Ausmaß bis dahin einmaligen Einsatzes von Menschen und Waffen führte das mörderische Ringen in Verdun auf keiner der beiden Seiten zu irgendeinem strategischen oder taktischen Vorteil. Der Plan, mit einem enormen Aufgebot an Menschen und Material die gegnerische Front im Sinne der Ermattungsstrategie „ausbluten” zu lassen, schlug fehl. Abertausende der eigenen Männer fielen in diesem sinnlosen Kampf für eine Handvoll unbedeutender Geländegewinne – ein Kampf, der längst irrationalen Charakter angenommen hatte und bald darauf auf beiden Seiten vielfach heroisiert und mythisch verklärt wurde.

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