Im Gespräch mit Pius Leitner
Pius Leitner von den Süd-Tiroler Freiheitlichen spricht über den gegenwärtigen Zustand der Süd-Tiroler Politik, das Referendum der Süd-Tiroler Freiheit und wagt einen Blick in die Zukunft.
DE: Ihre Partei hat bei den Landtagswahlen – wie sämtliche deutsche Oppositionsparteien auch – dazugewonnen. Dennoch hat die SVP trotz beteuerter Erneuerung und Sondierungsgesprächen den alten Weg eingeschlagen. Wie hätte die ideale Interpretation des Wählerwillens für Sie ausgesehen?
Pius Leitner: Die SVP hat erstmals in ihrer Geschichte die absolute Mehrheit verloren und ist daher nicht mehr berechtigt, allein die Interessen der Deutschen und Ladiner zu vertreten. Die SVP-PD-Regierung hätte um einen weiteren Partner erweitert werden sollen, wobei die Freiheitlichen als mit Abstand zweitstärkste Kraft die Bereitschaft dazu erklärt haben.
Ist Italien in seinem nationalistisch-imperialistischen Gedankengut des 19. Jahrhunderts stehen geblieben, oder warum muß der neue Landeshauptmann Kompatscher die umkämpfte Autonomie im italienischen Staatsfernsehen mit Händen und Füßen verteidigen?
Das hängt auch damit zusammen, daß die Autonomie auf’s Geld reduziert wurde. Die Italiener wissen offensichtlich nicht, daß wir diese Autonomie ausschließlich deshalb haben, weil wir eben keine Italiener sind. Welcher Italiener weiß schon, daß sogar in der Verfassung der Schutz der Minderheiten als „nationales Interesse“ festgeschrieben ist?
Die Süd-Tiroler Freiheit hat bei ihrem selbst in die Wege geleiteten Selbstbestimmungsreferendum rund 56.000 Bürger auf ihre Seite gelotst. Ist die Zukunft Süd-Tirols wieder aktueller denn je, oder kann die SVP, die sich ja dagegen ausgesprochen hat, einfach so zur Tagespolitik zurückkehren?
Das Selbstbestimmungsrecht steht Völkern (und Volksgruppen) zu, weshalb nicht Parteien Träger dieses Rechts sein können. Daher hoffe ich, daß eine überparteiliche Plattform all jener geschaffen wird, die den Weg der Selbstbestimmung konkret beschreiten wollen. Die SVP wird erst dann mitmachen, wenn der Druck aus dem Volk steigt, das von der Süd-Tiroler Freiheit selbst verwaltete „Referendum“ war ein Schritt dahin.
Sofern das Thema Selbstbestimmung im Hohen Haus in Bozen auf die Tagesordnung kommt, werden sich die Freiheitlichen mit der Süd-Tiroler Freiheit solidarisch zeigen. Dennoch glänzten sie beim Freiheitsmarsch im April 2013 durch Abwesenheit. Woher kommt der Sinneswandel?
Da gibt es überhaupt keinen Sinneswandel. Bekanntlich haben wir bereits in der abgelaufenen Legislaturperiode einen Antrag zur Selbstbestimmung gemeinsam mit der Süd-Tiroler Freiheit eingereicht. Der Freiheitsmarsch wurde vom Süd-Tiroler Schützenbund organisiert, nicht von der Süd-Tiroler Freiheit. Leider schadet die parteipolitische Einflußnahme bei den Schützen dem Gesamtanliegen. Da wir kurz vor diesem Freiheitsmarsch einen Verfassungsentwurf zu einem unabhängigen Freistaat vorgestellt hatten, der ohne Einbindung der Italiener im Lande nicht möglich ist, wäre eine offizielle Teilnahme unglaubwürdig gewesen. Die Führung des Schützenbundes hat daraus gelernt, wie der Unabhängigkeitstag in Meran im vergangenen Jahr gezeigt hat.
Ende 2013 wurde der Korridorzug zwischen Lienz und Innsbruck eingestellt. So ist die vielerorts gelobte „Europaregion Tirol“ um ein Kapitel ärmer. Wieso wird der östliche Landesteil Tirols immer noch so stiefmütterlich behandelt, und warum waren so wenige Politiker aus Bozen und Innsbruck in Lienz?
Die Freiheitlichen haben sich stets vehement für die Aufrechterhaltung dieser Verbindung ausgesprochen, im Landtag und im Pustertal. Es mußte eine schwarz-grüne Regierung in Innsbruck geboren werden, um dieses historische Band zu durchschneiden.
Ihrer Meinung nach ist der Freistaat Süd-Tirol, in dem alle drei Sprachgruppen friedlich und frei von Revanchismus und Nationalismus leben, das Modell der Zukunft. Ist er eine Übergangslösung oder nur eine Vorstufe zur Wiedervereinigung Tirols unter dem Dach Österreichs?
Die Geschichte ist kein Wunschkonzert, aber man kann die Richtung beeinflussen. Das Fernziel muß für jeden aufrechten Tiroler die Landeseinheit sein und bleiben. Um zu diesem Ziel zu kommen, muß man manchmal auch Umwege riskieren. Ich gehe davon aus, daß die EU in 50 Jahren anders ausschaut als heute, wobei die Nationalstaaten verschwinden werden.
Seit kurzem hat Österreich einen Außenminister, der mit seinen 27 Lebensjahren nicht über das diplomatische Geschick seiner weitaus älteren Amtskollegen verfügt. Die Rede ist von Sebastian Kurz. Wie sehen Sie seine Bestellung im Hinblick auf Süd-Tirol?
Ich habe ihn in Süd-Tirol ein einziges Mal gesehen bei einer Diskussion über die Integration von Ausländern. Natürlich ist er für dieses Amt sehr jung, und die nötige Erfahrung kann er gar nicht haben. Mit einem guten Mitarbeiterstab kann er dennoch gute Arbeit leisten. Was Süd-Tirol betrifft, so rate ich ihm, nicht den römischen Schalmeien- oder Sirenenklängen zu erliegen. Wir werden ihn vor allem an der Süd-Tirol-Politik messen.
Wo sehen Sie abschließend realpolitisch und wahrheitsgetreu das Land zwischen dem Brennerpaß und der Salurner Klause in den nächsten zehn Jahren?
In dieser Zeit werden die Weichen gestellt, ob wir in Richtung Unabhängigkeit gehen oder ob wir im italienischen Staat als Provinz aufgehen, in der man auch noch Deutsch spricht. In den Jahren 2018 – 2020, also 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges und der Annexion durch Italien sollten wir die entsprechenden Schritte setzen, uns von diesem Staat zu lösen. 100 Jahre bei Italien sind genug, um zu verstehen, daß wir nicht dazugehören. Süd-Tirol braucht ein eigenes Haus und nicht eine Wohnung in einem fremden Haus, das zudem auf Sand gebaut ist.
Das Gespräch führte Andreas Raffeiner