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Bio-Nahrung: Zwischen Milliardengeschäft und gesunder Ernährung

Seitdem Mitte der 90er Jahre zum ersten Mal in großem Stil das Thema der biologischen Landwirtschaft in die öffentliche Wahrnehmung gerückt ist, hat sich der Handel mit den verschiedensten Lebensmittelmarken und der Aufschrift „Bio“ zu einem milliardenschweren Geschäft entwickelt. Sobald die kommerzielle Lebensmittelindustrie feststellte, daß sich mit dem neu aufkommenden Umwelt- und Gesundheitsbewußtsein der Menschen eine Menge Geld verdienen ließ, hielt auch der Mißbrauch mit der „Bio“-Marke Einzug in die Lebensmittelregale.

Galten naturbewußte Ernährung und verantwortungsvolle Landwirtschaft bis zum Aufkommen der Umwelt- und der Naturkostbewegung seit Mitte der 60er Jahre immer als das Feld von Sektierern und Anthroposophen, wurde das Thema in den letzten zwanzig Jahren auch für breitere Bevölkerungsschichten immer attraktiver.

Tatsächlich waren es vor allem die Anthroposophen, zusammen mit der Lebensreformbewegung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die unter ihrem Mentor Rudolf Steiner die Grundlagen für ein neues Naturbewußtsein und vor allem für den verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen, legten. Die Lebensreformer lehnten die Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten im 19. Jahrhundert ab, die in Zusammenhang standen mit der Modernisierung der Lebensmittelindustrie, sinkenden Preisen für einige Produkte wie Zucker und Weißmehl sowie der Einführung von Konserven und ersten Fertigprodukten wie Fleischextrakt und Brühwürfeln. Die führenden Vertreter von Ernährungsreformen waren Mediziner, die die moderne „Zivilisationskost“ als Hauptursache für viele Krankheiten ansahen. Nur möglichst naturbelassene Lebensmittel seien wirklich gesund, so ihre These.

Aus dieser Denktradition entstanden die heute noch bestehenden Reformhäuser und die Lebensmittelmarke „Demeter“, die auf einer anthroposophischen Grundlage sogenannte „biologisch-dynamisch“ angebaute und hergestellte Produkte anbietet. Heute umfaßt die seit 1928 bekannte Marke etwa 3.500 Produkte. Die Idee der biologisch-dynamischen Landwirtschaft entstand zur Jahrhundertwende und vertritt die Idee des „landwirtschaftlichen Organismus“, die heute auch außerhalb der biologisch-dynamischen Richtung gepflegt wird. Eine erweiterte, „wesensgemäße“ Erkenntnis der physischen Stoffe und deren Aufgabe als „Träger geistiger Kräfte“ wurden als wichtige Grundlage genannt. Auch zum richtigen Verhältnis zwischen Feldwirtschaft, Obstwirtschaft und Tierhaltung, zur Bedeutung des Waldes und der Bildung von Biotopen wurden Angaben gemacht. Die wesensgemäße Fütterung der Tiere, aber auch die menschliche Ernährung waren Themen. Als besonders wichtig wurden die Belebung des Bodens und die Förderung und Erhaltung einer dauerhaften Fruchtbarkeit herausgearbeitet. Dazu wurden neue Ideen für Düngerwirtschaft und Kompostherstellung entwickelt.

Die moderne Naturkost-Bewegung erfuhr einen Aufschwung in der Hippie-Zeit der späten 60er und frühen 70er Jahre. Das sprichwörtliche Müesli gewann an Popularität. In den 70er Jahren entstanden in Westdeutschland die ersten „Naturkostläden“, und Ende der 70er Jahre gab es bundesweit bereits rund 100 dieser Läden.

Während sich besonders seit Mitte der 70er Jahre große Verbände in der biologischen Landwirtschaft gründeten, wie etwa „Bioland“ oder „Naturland“, die sich strengen Anbaugrundsätzen verpflichteten und Produkte von hoher Qualität produzierten, sah sich bei dem zunehmenden Aufschwung der Bio-Lebensmittel bald auch die konventionelle Nahrungsmittelindustrie veranlaßt, sich einen Teil des blühenden Geschäftes zu sichern. Zu diesem Zeitpunkt begann der Etikettenschwindel mit der Leichtgläubigkeit des Konsumenten, der sich „bewußt“ ernähren wollte. Als die EU sich Ende der 90er-Jahre unter dem Druck der konventionellen Lebensmittelindustrie entschloß, eine EU-Bio-Verordnung zu verabschieden und ein neues „Bio-Gütesiegel“ schuf, waren dem Mißbrauch mit dem Wort „Bio“ Tür und Tor geöffnet. Lebensmittel, die nach dem Gütesiegel der EU produziert wurden, müssen weitaus weniger strenge Auflagen erfüllen, als dies bei den „echten“ Bio-Anbauverbänden wie „Bioland“ oder „Demeter“-Bauern der Fall ist. Die Unterschiede sind allerdings für den Verbraucher nur schwer zu erkennen und viele der Produkte mit dem EU-Gütesiegel haben mit gesunder Bio-Nahrung nur mehr wenig zu tun.

Nicht nur, daß unter bestimmten Voraussetzungen immer noch viele umstrittene Zusatzstoffe in Lebensmitteln mit EU-Bio-Siegel zu finden sind, werden auch die Anbaumethoden nur selten hinterfragt. Der existierende Biosiegel-Dschungel der verschiedenen Anbauverbände wird durch das europäische Bio-Siegel ebenfalls vorläufig nicht gelichtet. Werden das europäische und die verschiedenen deutschen Bio-Siegel parallel verwendet, ist die Verwirrung für den Verbraucher komplett: Welches Siegel steht für welche Standards?

Es erfordert schon ein großes Maß an Recherche für den Normalverbraucher, um sich umfassend über die verschiedenen Standards der Anbauverbände zu informieren. Und selbst wenn die Information gelungen ist, bleibt der Lebensmitteleinkauf auch immer zu einem gewissen Maße eine Vertrauenssache. Wer beispielsweise besonders viel Wert darauf legt, die einheimische Landwirtschaft zu unterstützen, stößt auch bei bewußten Einkäufen von Bionahrung schnell an seine Grenzen. Grundsätzlich sind bei dem Willen zu bewußter Ernährung und der Unterstützung der heimischen Landwirtschaft konsequenterweise der genaue Blick auf die Inhaltsangabe und der Gang auf den Bauernmarkt oder gleich direkt zum Landwirt des Vertrauens, eine zwar zeitaufwendige, aber unerläßliche Notwendigkeit.  Jan Ackermeier

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