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Schein und Sein auf der Krim

Von Manuel Ochsenreiter

"Fahnenwechsel"

“Fahnenwechsel”

Wo sind sie denn nun, die russischen Panzerarmeen? Noch vor Abreise auf die Krim sah man sie im Fernsehen: Russische Armeekolonnen rollen in die wehrlose Ukraine, besetzen die Halbinsel Krim ohne jede Gegenwehr. Doch weder in der KrimhHauptstadt Simferopol, noch in anderen Städten ist eine „russische Besatzungsarmee“ zu sehen. Der einzige russische Panzer, der zentral in Simferopol unweit des Parlamentsgebäudes zu sehen ist, thront auf einem Podest und rostet vor sich hin. Es ist ein T-34 auf einem Denkmal, das an den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg erinnert. Doch sonst: Fehlanzeige. Die Invasion fand nur auf unserer Mattscheibe statt. Die Aufnahmen der russischen Panzer stammten von einem Manöver, welches hunderte Kilometer entfernt von der Ukraine stattfand, wird später bekannt.

In den Tagen vor dem Referendum vom 16. März befindet sich die Halbinsel in einer merkwürdigen, fiebrigen Stimmung. Eine sonderbare Mischung aus Anarchie und Disziplin hat sich auf der Halbinsel breitgemacht. Anarchisch ist der völkerrechtliche Status. Niemand scheint genau zu wissen, was man denn nun eigentlich sei: Teil der Ukraine, ein unabhängiges Land oder bereits russisch. Und wem dienen eigentlich die Polizisten, die mit ukrainischen Abzeichen durch Simferopol schlendern? Immer noch Kiew? Darauf angesprochen lachen die Ordnungshüter. Die Frage sei „typisch deutsch“. In Zeiten des großen Umbruchs sei der Austausch von Abzeichen nicht von primärer Bedeutung, geben die Polizisten zu verstehen. Alles könne sich ohnehin jeden Tag ändern.

Wenige Tage zuvor hatte sich die Krim formell für unabhängig von Kiew erklärt. Das Referendum am 16. März soll eine endgültige Entscheidung bringen: Wird die Halbinsel ein Teil Rußlands oder soll der alte Zustand wiederhergestellt werden? Doch jetzt gerade ist alles in einem Schwebezustand. Im Auge des geopolitischen Orkans ist es fast windstill, ruhig und gelassen. Die westlichen Mainstreammedien schreiben über eine angeblich „angespannte Atmosphäre“ auf der Krim, doch die ist nirgendwo zu finden – ähnlich wie die russischen Panzerkolonnen.

Stattdessen Volksfeststimmung: Im Küstenort Jalta wird bereits vor dem Referendum kräftig gefeiert. Auf einer Bühne wechseln einander russische Rockbands und traditionelle Tanz- und Gesangsgruppen ab. Zwischendurch stimmen die Zuschauer immer wieder „Rußland! Rußland!“-Sprechchöre an. Westliche Journalisten sieht man nicht. Auch nicht, als einige jüngere Aktivisten einen Fahnenmast hochklettern – es weht dort noch immer die blau-gelbe Fahne der Ukraine. Doch nicht mehr lange. Sie wird heruntergerissen und gegen eine russische Fahne ausgetauscht. Und auch in anderen Städten und Dörfern auf der Krim finden prorussische Kundgebungen statt. Die Halbinsel befindet sich im (Wieder-)Vereinigungsfieber.

Der Autor mit einem serbischen Freiwilligen

Der Autor mit einem serbischen Freiwilligen

Während in westlichen Hauptstädten die Kriegstrommeln erklingen, versucht man sich auf der Krim auf mögliche Provokationen vorzubereiten. Das Referendum könnte gestört werden, Ankündigungen und Drohungen gibt es genug. Seit Tagen kursiert das Gerücht, Angehörige des sogenannten „Rechten Sektors“ aus Kiew und der Westukraine würden auf die Krim einsickern, um dort den bewaffneten Kampf gegen das Referendum aufzunehmen. Der „Rechte Sektor“ gehörte zu jenen Kampfformationen, die auf dem Maidan in Kiew gegen die Sicherheitskräfte kämpften. Moskau wirft dem „Rechten Sektor“ sogar vor, für die Todesschüsse verantwortlich zu sein. Während Brüssel und Washington den Einfluß und die Gewalttätigkeit des „Rechten Sektors“ herunterspielen, weiß man in Simferopol sehr genau, was man von den Kiewer Maidan-Milizen zu halten hat: Verschiedene Köpfe des „Rechten Sektors“ haben auf Seiten islamistischer Terroristen in den Tschetschenienkriegen gegen Rußland gekämpft. Man sieht den „Rechten Sektor“ daher auch als Teil des internationalen Terrorismus. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagt Gennady Sivak, der die Selbstschutzformationen auf der Krim mitorganisiert.

Wichtige Verkehrswege werden daher durch Kontrollpunkte gesichert. Zwischen Simferopol und Sewastopol sieht man Bratislav die Kelle schwenken. Schon von weitem fällt er durch seinen buschigen Bart und eine ungewöhnliche Kopfbedeckung auf. Bratislav gehört zu einer Gruppe serbischer Tschetniks, die zur Unterstützung des Selbstschutzes auf die Krim gereist sind. „Wir helfen unseren russischen Kameraden!“, sagt der Serbe lachend und kontrolliert weiter Fahrzeuge. Gesucht wird nach Waffen und Sprengstoff, bislang habe man allerdings „kaum etwas“ gefunden. Daß ausgerechnet serbische Freiwillige auf die Krim reisen, ist nur auf den ersten Blick etwas merkwürdig. Denn im Kosovo schaut die serbische Minderheit mit großer Hoffnung in Richtung Osten. Denn in jenen Gebieten und Städten, wo die Serben die Mehrheit stellen, würde man ein solches Referendum – und eine Vereinigung mit Serbien – begrüßen. Bratislav ist sich jedenfalls sicher, daß nun eine „neue Zeit“ anbrechen werde.

In Simferopol arbeiten Olga und Anna Tag und Nacht an den Vorbereitungen des Referendums. Beide sind Angestellte der Stadtverwaltung der Krimhauptstadt. Rund 1,5 Millionen Wahlberechtigte können in etwa 1.200 Wahllokalen für eine von zwei Optionen (jeweils in den Sprachen Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch aufgeführt) stimmen. „Das ist eine große patriotische Aufgabe“, strahlt Olga trotz totaler Übermüdung.

Zur Auswahl stehen auf dem Wahlzettel zwei Optionen:

„Sind Sie für eine Wiedervereinigung der Krim mit Rußland mit den Rechten eines Subjekts der Russischen Föderation?

Sind Sie für eine Wiederherstellung der Gültigkeit der Verfassung der Republik Krim von 1992 und für einen Status der Krim als Teil der Ukraine?“

Am Sonntag, dem Tag des Referendums, sieht man vermummte Scharfschützen auf dem Dach des Parlamentsgebäudes in Simferopol. Waren die Tage zuvor noch sonnig, sorgt jetzt Nieselregen für leere Straßen. Vor allem die westlichen Fernsehteams scheint das nicht zu stören – im Gegenteil: In den Nachrichten Europas ist jetzt die Rede von „gedämpfter Stimmung“ und einer „Atmosphäre der Angst“. Als am Nachmittag die Sonne wieder durchblitzt, sind die Aufnahmen schon längst abgeschlossen und über Satellitenverbindung in die Sendeanstalten gefunkt. Kommentatoren in London, Paris, Berlin und Washington äußern mit Sorgenfalten auf der Stirn, daß das Referendum unter „russischen Geschützrohren“ stattfände und das Ergebnis nicht anzuerkennen sei. Es handle sich um eine „russische Annexion“. Wer selbst in Simferopol ist, weiß, daß nichts davon stimmt.

Gegen 22 Uhr gibt der Leiter der Wahlkommission, Michail Malyschew, ein vorläufiges Ergebnis bekannt, wonach 95,5 Prozent der abgegebenen Stimmen sich für eine Wiedervereinigung der Krim mit Rußland ausgesprochen hätten. Für eine Wiederherstellung der Gültigkeit der Verfassung der Republik Krim von 1992 und für einen Status der Krim als Teil der Ukraine hätten 3,5 Prozent gestimmt, und 1,0 Prozent seien ungültige Stimmzettel gewesen. Die Wahlbeteiligung habe rund 82 Prozent betragen. Nach späteren Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti hätten sich 96,77 Prozent der Abstimmenden für eine Vereinigung mit Rußland ausgesprochen; die Wahlbeteiligung habe 83,1 Prozent betragen.

Auf dem Leninplatz von Simferopol wird ausgelassen gefeiert. Mit einem russischen Fahnenmeer und einem gigantischen Feuerwerk in den Farben Rußlands begrüßen die Krimbewohner die Wiedervereinigung mit Moskau. In den westlichen Nachrichten sieht man von dieser Freude wenig. Stattdessen rollen dort wieder russische Panzer in Richtung Westen.

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