Wort und Wert – Familie, entkernt.
Von Balduin Ordt (DE 1/2013)
Die Werbung hat sie längst entdeckt. Vielleicht hat sie sie gar erfunden und war da, ehe sie auftauchte: die „Patchworkfamilie“, das Flickwerk, das Gemeinschaft zu sein beansprucht, welche Erwachsene und Kinder während immer rascher wechselnder Lebensabschnitte eingehen – recht und schlecht überzeugt die einen, eher zufällig, unfreiwillig, ungefragt die anderen. Wie fleißig und behende unsere Zeitgenossen erkannt haben, daß mit der familiären Notlösung Geschäft zu machen sei, zeigt jetzt ein neues buntes „Magazin für Eltern und Patchworker“, das der mediale Herold des liberalen (und überhaupt jeglichen) Fortschritts in Österreich, die Zeitung „Der Standard“, geboren hat. Qualitätsjournalismus, wie er im Buche steht, bis zur Unduldsamkeit tolerant und weltoffen, ist hier ein Verhältnis mit der Babynahrungs-, Spielzeug- und Tourismusindustrie eingegangen, wie es inniger nicht sein könnte.
Das Blatt nennt sich „family“. Selbstverständlich müssen die journalistischen „Patchworker“ – merke: Hier wurde das Produkt des Unglücks und der Schwäche zum seiner selbst gewissen Machertum, zum Lebensprinzip geadelt! – ihm einen englischen Namen verleihen. So funktioniert ja der ganze Zauber mit der englischen Kontamination unserer dürftig deutschen Heimat. Aber es ist auch gut, daß sie es nicht auf deutsch sagen, sondern sich in Glitter und Glimmer der fremden Sprache flüchten. Denn sie haben ganz recht: Die „family“, von der sie reden, hat wenig gemein mit der Familie, von der die Muttersprache weiß.
Gleich am Anfang – nach der ersten ganzseitigen Hochglanzanzeige, versteht sich („Wellness für Groß & Klein …“) – stellt sich die Mitarbeiterschar selbst als ein solches Gebilde unverbindlicher Natur vor („Wir sind family“): Die leitende Redakteurin bekundet, „im Patchwork aufgewachsen“ zu sein und „heute wieder im Patchwork“ zu leben (wie sinnig der Kreis sich schließt!), die leitende Grafikerin, – Verzeihung – Verantwortliche für „Art Direction“ „lebt kinderlos glücklich in Wien“ (wir freuen uns mit ihr!) und so weiter. Die nächsten Seiten sinnieren über „Großfamilien-Patchwork anno 2012“: „Was heißt Familie heute?“, veranschaulicht anhand einer Fotogalerie von Familienaufstellungen der neuen Art (untertitelt z. B. „Stiefmütter und Stiefväter im Wandel: Aus ihnen sind Bonusmütter und Bonusväter geworden, zusätzliche Ressourcen für Scheidungskinder“). Das ebenfalls neu geschaffene „Familienressort“ beim „Standard“ selbst gesellt sich mit einer großformatigen Zielgruppenbestimmung hinzu: „Für Mütter, Väter, alleinerziehende Halbstiefmütter, biologische Ex-Erziehungsberechtigte und gleichgeschlechtliche Adoptivurgroßeltern. Und für alle anderen.“ Alles grinst, ist halb so schlimm, läßt sich nicht unterkriegen.
Ja, was heißt Familie heute? Vor der Geringschätzung der „Kernfamilie“ und des „natürlichen Geschlechts“ warnte der (doch recht verhaltene) Protest, den jüngst eine Broschüre zur Sexualaufklärung auslöste, die das sozialdemokratisch geführte Unterrichtsministerium für Österreichs Schulen herausgegeben hatte. „Ganz schön intim“, nennt sich keck die Handreichung, mit der Sechs- bis Zwölfjährige – nein, nicht das war der Skandal! – an die bunte Vielfalt jener sexuellen Lebensformen, die sich in der fortschrittlichen Gesellschaft tummeln, herangeführt werden sollen. Mit unverblümten Worten und nicht minder deutlichen Bildern werden da „alle Aspekte des Zusammenlebens“ ausgemalt, allerlei „Patchwork“-Verhältnisse, homosexuelle Partner- und Elternschaften, inter-, trans- und sonstige sexuelle Orientierungen treten gleichwertig neben jenes Modell, das in seinen herkömmlichen Zügen demgegenüber wahrlich weit weniger spannend, beinahe schon uninteressant anmuten muß und das denn auch von den Propagatoren der alleinseligmachenden Beliebigkeit als verschrobenes „Vater-Mutter-Kind-Ideal“ abgetan wird, das dem wirklichen Leben nicht standhalte.
Die Verteidiger der „Kernfamilie“ haben mit der Wahl des Begriffes, mit dem sie ihr Ideal vor der Realität rechtfertigen möchten, freilich bereits ein erhebliches Stück weit klein beigegeben. „Kern“, da klingt durch: nur Teil – aber Teil welches Ganzen? Doch wohl nicht eines solchen, in dem all die modernen Derivate jenes Alten und Überholten darauf bestehen, auch und erst recht „family“ zu sein?
Die „Lebensrealität“ als „Macht des Faktischen“: So lautet das Totschlagargument, das die Vorkämpfer der „offenen Gesellschaft“ beim „Standard“ wie die Erziehungsexperten, auf die das Ministerium vertraut, stets in der Hinterhand haben, um ihr empörendes Tun und Treiben zu legitimieren. Vor soviel offenkundiger Cleverness verschließt sich der Staat bodenständiger Besonnenheit; er, der die Kraft und den Mut haben müßte, zum Ideal als Erfordernis zu stehen, und dessen politische Vertreter deshalb ohne zauderndes Hin und Her zu erklären hätten:
Wir finden, daß die Familie, das ist der natürliche Verband, den ein Mann, seine Frau und deren gemeinsame Kinder bilden, jene Lebenszelle sein soll, auf deren Dasein von Generation zu Generation und aus der Vergangenheit in die Zukunft wir unser Leben und Bestehen als Nation gründen wollen. Wir finden daher nicht, daß irgendeine andere Form des Zusammenlebens zwischen unseren Bürgern einen gleichen oder ähnlichen Rang innehaben und dieselben Rechte und Vorteile genießen soll. Doch gehört es zu unseren Pflichten, dafür zu sorgen, daß keiner unserer Bürger auf Grund seiner von diesem Ideal abweichenden Lebensführung, insbesondere durch die geschlechtlichen Beziehungen, die er eingeht, Verachtung oder Zurücksetzung dulden muß, solange er dies als seine Privatsache betrachtet und niemandem Schaden zufügt.
Punktum. Ganz ohne Wirbel und kein Kotau vor der Phrase, die sich als Wirklichkeit ausgibt.
Balduin Ordt ist regelmäßiger Mitarbeiter der „Wiener Sprachblätter“ (siehe www.muttersprache.at).