Ist das österreichische Bundesheer am Ende?
Von Mag. Rudolf Raubik, Oberst a.D.,
Präsident der Offiziersgesellschaft Wien
2015 wird in Österreich das Wehrbudget unter 0,6 % des BIP sinken. In ungewohnter Offenheit hat daher Verteidigungsminister Klug aufgezeigt, daß das Bundesheer mit dem neuerlich gekürzten Budget in seiner jetzigen Form nicht mehr finanzbar ist. Er hat daher den Generalstab mit „tabulosem Sparen“ und einer schonungslosen Strukturreform beauftragt. Dieses „Heer der Zukunft“ soll sich auf Katastrophenhilfe im Inland (§ 2 (1) lit. c Wehrgesetz) und Auslandseinsätze (§ 2 (1) lit. d Wehrgesetz) beschränken, um mit den verfügbaren Mitteln nur noch die einsatzwahrscheinlichsten Aufgaben.
Damit kann das Österreichische Bundesheer jedoch seine gesetzliche Verpflichtung zur
- militärischen Landesverteidigung (§2 (1) lit. a Wehrgesetz) und zum
- Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen … sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren (§2 (1) lit. b Wehrgesetz)
nicht mehr in gewohnter Weise erfüllen. Diese reduzierte Einsatzbereitschaft hat keine Legitimität und ist daher inakzeptabel. Die österreichische Bevölkerung muß über diese Entwicklung schonungslos informiert werden, da sie berechtigt auf „Schutz und Hilfe“ vertrauen können muß.
Soldaten geloben, die Bevölkerung in außergewöhnlichen Situationen zu schützen. Sie nehmen dabei Gefahren für Leib und Leben in Kauf. Sie dürfen dafür aber auch erwarten, daß durch moderne Ausrüstung für ihre eigene Sicherheit gesorgt wird. Sicherheit für die Bevölkerung und Respekt und Wertschätzung für die Soldaten des Bundesheeres dürfen in einem der reichsten Länder der Welt nicht zum Luxus werden.
Vielfach wird von politischen Mandataren die Meinung vertreten, daß unser Land nur von Freunden bzw. Verbündeten umgeben sei, und uns daher keinerlei Gefahr drohe, weshalb unser Heer auf minimale Größe umstrukturiert werden könne. Die aktuellen außenpolitischen Entwicklungen der letzten Wochen lassen diese Anlsicht allerdings in den Hintergrund treten. Wir müssen nämlich zeitgleich zwei Situationen zur Kenntnis nehmen:
- Durch die Annexion der Krim und die anhaltende Krise in der Ukraine sowie die Gefahr der Ausweitung auf Moldawien und auch die arktische Region sind die Gespenster der Vergangenheit erwacht. Und es droht – wenn hoffentlich nicht ein heißer Konflikt daraus wird – wieder eine lange Phase der „kalten Konfrontation“ zwischen Rußland und den USA. Dazwischen steht die EU zwar mit eigenständigen Interessen, aber ohne relevante Machtmittel – ist aber jedenfalls durch ihre Bündnisstrukturen in den Konflikt involviert.
- Das Österreichische Bundesheer ist durch verantwortungslose Kürzungen im Budget 2014 sowie durch weitere Reduktionen in den Jahren 2015-2018 – auch nach Auffassung des Verteidigungsministers – nicht mehr finanzierbar.
Während in anderen vergleichbaren Ländern wie Schweden und Finnland (EU-Mitglieder ohne NATO-Mitgliedschaft) intensiv über eine Aufstockung der Verteidigungsbudgets – obwohl diese traditionell ohnedies schon über dem österreichischen liegen – und auch die Anschaffung moderner Waffensysteme diskutiert wird, wird in Österreich das Bundesheer still und heimlich zu Grabe getragen. Durch mangelnde Information und mediales Desinteresse wird die Bevölkerung im falschen Glauben der Einsatzfähigkeit des Bundesheeres belassen.
Krisen und Katastrophen kommen überraschend – das ist ihre Charakteristik. Kaum jemand hat den Zusammenbruch der Sowjetunion, den Bürgerkrieg in Jugoslawien, den Arabischen Frühling oder den Konflikt in der Ukraine vorhergesehen. Der Glaube an eine zehnjährige Vorwarnzeit ist eine gefährliche Illusion!
Naturereignisse, technische Defekte oder terroristische Anschläge können unser gewohntes Leben durch den Ausfall der Stromversorgung in wenigen Tagen in ein dramatisches Chaos stürzen. Das Bundesheer ist für die größten anzunehmenden Bedrohungen die letzte Instanz, um den Staat und seine Bürger zu schützen. Es ist wie eine Versicherung, die man abschließt – niemand will, daß man sie wirklich in Anspruch nehmen muß. Doch jeder ist dankbar, daß er sie hat, wenn er sie braucht! Unsere Versicherungsprämie wird aber nicht mehr bezahlt! Wir können nicht mehr auf den Schutz vertrauen – im Bedarfsfall würden wir schutz- und wehrlos dastehen. Und dann wird es zu spät sein.
Einsparen kann man nur dort, wo etwas im Überfluß vorhanden ist. Das österreichische Bundesheer und das berechtigte Sicherheitsbedürfnis der Bürger hat aber nur eines seit geraumer Zeit im Überfluß: die Ignoranz der politischen Entscheider!
Die Kluft zwischen den gesetzlichen Aufträgen und den parlamentarischen Vorgaben aus der Sicherheitsstrategie einerseits und der finanziellen Realität andererseits ist inzwischen so offensichtlich, daß bei einem privaten Unternehmen Konkurs angemeldet werden müßte. In wenigen Monaten wird das ÖBH seine Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Zu bedenken sind dabei auch die Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft, für die das Bundesheer ein wichtiger Kunde ist, mit dem man seit Jahrzehnten eng verbunden ist. Es besteht keine Hoffnung, daß eine jetzt angekündigte Strukturreform das Problem lösen werde. Denn diese hat nicht das Ziel, die Aufgaben des Bundesheeres bestmöglich zu erfüllen, sondern die Aufgaben an das verfügbare Budget anzupassen, also zu reduzieren.
Im Bundesheer gibt es eine lange Geschichte von Reformen. Alle sind am Budget, also dem in Geldbeträgen ausgedrückten politischen Willen, gescheitert.
Die Vorschläge und Empfehlungen der Bundesheerreformkommission unter Helmut Zilk wurden vor genau zehn Jahren vorgestellt. Sie sollten unter dem Begriff „ÖBH 2010“ umgesetzt werden. Doch statt einer Budgeterhöhung auf 1,1 % des BIP wurde Schritt für Schritt auf unter 0,6 % reduziert. Die geforderte Anschubfinanzierung fand nicht statt, die Eurofighterbeschaffung erfolgte nicht über ein Sonderbudget, sondern wurde doch ins BH-Budget einberechnet. Stattdessen wurde der Grundwehrdienst verkürzt, die Verpflichtung zu Truppenübungen fiel damit weg, die Übungen der Miliz wurden ausgesetzt, das in der Verfassung verankerte Milizsystem ausgehöhlt und ausgehungert. Dieses grandiose Scheitern der Reform fand im Jahr 2010 kaum Beachtung. Im Herbst 2010 startete aber aus heiterem Himmel eine Diskussion über die Wehrpflicht – nur ein zeitlicher Zufall oder eine bewußte Ablenkung?
2004 war es fünf vor zwölf für das Bundesheer. Zehn Jahre später müssen wir feststellen, daß die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind. Es waren die wehrpolitischen Verbände, die vor der Pleite und dem Verlust der Einsatzfähigkeit gewarnt hatten. Sie wurden dafür als antiquierte kalte Krieger, Schwarzmaler und Querköpfe bezeichnet und lächerlich gemacht. Heute spricht der Verteidigungsminister selbst vom „Boden des Fasses“, der erreicht sei. Und er sagt in aller Öffentlichkeit, daß das Bundesheer mit diesem Budget nicht finanzierbar sei.
Alle Soldaten erwarten daher auch vom Minister, daß er der Bevölkerung in gleicher Deutlichkeit sage, welche Leistungen wegfielen, wenn sich das ÖBH nur noch auf Auslandseinsätze und Katastrophenhilfe vorbereitete. Und um diesen verfassungswidrigen Zustand zu vermeiden, kann nur eine Reform eingefordert werden: Das Wehrbudget – also unsere Versicherungsprämie – muß mit sofortiger Wirkung auf zumindest 1% des BIP erhöht werden. Warum? Weil wir als Soldaten gelobt haben, die Republik Österreich und das österreichische Volk zu schützen – und dafür müssen auch die Voraussetzungen vorhanden sein.
Titelgeschichte aus dem September DE