Heinrich von Kleist – Eine gelebte Tragödie
Als vor 200 Jahren der Dichter Heinrich von Kleist kaum 34-jährig in den Freitod ging, verlor die deutsche Dichtung einen Frühvollendeten. Er hatte mit der ihm aus einem tragischen Leben zugewachsenen Kraft die klassische Form der Dramatik mit dem Elementaren, Unbedingten, den Tiefen von Leidenschaft und Gefühl verbunden, und so das deutsche Schauspiel zu einer bislang unerreichten Höhe geführt.
Der am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geborene Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist entstammte aus der sicheren Welt des preußischen Militäradels. Diese Welt konnte den unruhigen Geist nicht halten. Seine Eltern starben früh, er wuchs mit fünf Schwestern und einem Bruder auf. Am nächsten stand ihm zeitlebens seine Stiefschwester Ulrike, der er in vielen Briefen sein Inneres öffnete und an die auch sein erschütterndes Abschiedsschreiben gerichtet war.
1792 trat er nach Familientradition ins preußische Heer ein. Doch das Militär war nicht seine Welt, er studierte nebenher Mathematik, Philosophie, Latein und Griechisch. 1799 schied er als Secondeleutnant aus dem Dienst. Er wollte Dichter werden, der Weg lag für den Unsteten im Dunkeln. Über seine verworrene Seelenlage geben Briefe an die Braut Wilhelmine von Zenge Auskunft. Von dieser trennte sich Kleist bald, weil sie ihm in eine ländliche Idylle in der Schweiz nicht folgen wollte. Bald kehrte er nach Preußen zurück und versuchte es noch einmal mit dem Staatsdienst. Er reiste viel, nach Wien, Leipzig und Würzburg, immer wieder von unerklärlichen Krankheiten niedergeworfen.
1801 stieß er auf die Philosophie Kants. Nach eigenen Aussagen des Dichters war dies die erschütterndste Begegnung seines Lebens. Der „Alleszermalmer“ zerstörte die Hoffnung auf letzte Erkenntnis. Kleist machte sich den Wahlspruch seines Freundes Heinrich von Brockes zu eigen: „Wissen kann unmöglich das Höchste sein, Handeln ist besser als Wissen“. Doch sein Handeln und Dichten fand kaum Anerkennung.
Besonderen Anteil nahm der Dichter an der Lage des unterdrückten deutschen Volkes, und so wurde er zum kämpfenden Patrioten. Ohne Paß und Papiere reiste er nach Frankreich, in der Hoffnung, Napoleons Flotte gegen England untergehen zu sehen. Auf der Rückreise erkrankte er, lebte bei einem Pfarrer und verdingte sich als Tischler. Dann versuchte er es nochmals als Beamter in Königsberg – von vielen Wohlmeinenden gefördert. Jetzt war die Zeit intensiver Arbeit. Er verfaßte die Lustspiele „Der zerbrochene Krug“ und „Amphytrion“, begann das Trauerspiel „Penthesilea“ und sein bekanntestes Prosawerk „Michael Kohlhaas“. Aber wieder verfiel er in Krankheit, quittierte neuerlich den Dienst, aber arbeitete politisch weiter. 1807 verhafteten ihn die Franzosen als Spion. Dann ging er nach Dresden und hatte bei Freunden eine gute Zeit. Er gab die Zeitschrift „Phöbus“ heraus, in der einige seiner wichtigsten Werke erschienen.
Doch die dunklen Wolken waren bald wieder da. Er kann von seiner Dichtung nicht leben. Besonders litt er an seinem Verhältnis zu Goethe. Der ließ zwar den „Zerbrochnen Krug“ in Weimar aufführen, aber so verändern, daß es zu einem Fiasko kam. Jetzt legte Kleist dem Olympier seine „Penthesilea“ vor und bat Goethe „auf den Knien seines Herzens“ um Förderung. Er erntete kühle Ablehnung, denn die übergroße Verstrickung in Liebe und Haß war Goethes Sache nicht mehr. Er meinte, Kleists „Hypochonder“ sei zu arg, er richte ihn als Menschen und Dichter zugrunde.
Der leidenschaftliche Patriot Kleist kämpfte unentwegt gegen die französische Gewaltherrschaft. Er vollendete das Drama „Die Hermannsschlacht“ als Vorbild für den von ihm ersehnten Befreiungskrieg. Nach der Schlacht bei Aspern reiste er nach Österreich, plante ein Kampfblatt unter dem Namen „Germania“ mit dem Leitwort „Diese Zeitung soll der erste Atemzug der deutschen Freiheit sein“. Er schrieb einen flammenden „Katechismus der Deutschen“.
Bald versanken die Hoffnungen wieder. Er kehrte nach Berlin zurück und schrieb das Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg“. Dieses wohl reifste politische Drama der deutschen Literatur fand kaum Beachtung. In Wien führte man immerhin sein großes historisches Ritterschauspiel „Käthchen von Heilbronn“ auf.
Zurück in Berlin läßt er einen Band mit Erzählungen erscheinen. Die von Kleist herausgegebene Zeitschrift „Berliner Abendblätter“ war von erlesener künstlerischer Qualität, aber ohne finanziellen Erfolg. Ein neuerlicher Eintritt ins Militär scheiterte. Die Fremdherrschaft hielt an.
Kleist war am Ende und fand in der unheilbar kranken Henriette Vogel eine Gefährtin, die bereit war, mit ihm in den Tod zu gehen. Am 21. November 1811 erschießt Heinrich von Kleist am Ufer des Kleinen Wannsees die Freundin und sich.
Welche Früchte hat das so kurze und tragische Leben getragen! Und welche hätte es noch tragen können! Im Urteil der meisten Zeitgenossen spiegelte sich die Verständnislosigkeit Goethes gegenüber dem schicksalhaft Dunklen im Werk Kleists wider. Nur langsam begann sein Werk zu leuchten. Wegen der vollendeten Verbindung von klassischem Formwillen, tiefer Seelenkenntnis und kräftig-treffender Sprache wird Kleist von vielen als der bedeutendste Dramatiker der deutschen Literatur eingeschätzt.
Sein Werk ist vielfältig: Das ebenso derbkomisch wie psychologisch feinsinnige Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ macht einen Menschen zum Richter über sich selbst. Das Lustspiel „Amphytrion“ folgt zwar einer Handlung Molieres, deutet die Konflikte aber mit geradezu moderner Psychologie. Ist Jupiter, der ins Leben der Alkmene in Gestalt ihres Gatten Amphytrion einschleicht, wirklich ein Gott, oder verwechselt die Seele der Frau Wunschbild und Wirklichkeit? Die Wandlung von unbedingter Liebe zu unbedingtem Haß macht die Amazonenkönigin „Penthesilea“ zu einer Schwester Kriemhilds. Das Märchen vom „Käthchen von Heilbronn“ zeigt in buntem Gewand den Sieg bedingungsloser Liebe. Für Gerhart Haupmann etwa war das Schauspiel ein Wunder an Kraft, Anmut und farbiger Volkstümlichkeit. Das Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg“ ist eines von wenigen bedeutenden Staatsdramen der deutschen Literatur. Der hier als notwendig erkannte Sieg des Gesetzes über die Willkür des Einzelnen ist auch der Gegenstand von Kleists stärkster epischer Arbeit „Michael Kohlhaas“.
Die offizielle Gegenwart tut sich mit Kleist schwer. Seine überschäumende Vaterlandsliebe machte ihn zu einem Wegbereiter der Befreiungskriege, dies und die von ihm erkannte Notwendigkeit der Einordnung in die Gemeinschaft machen ihn nicht zum Liebkind des Zeitgeistes. Aber sein Werk wird bleiben! Karl Katary