Europa im Ausnahmezustand
Von Jan Ackermeier
Schwere Krawalle haben die europaweiten Proteste gegen die Sparpolitik im November 2012 überschattet. In Spanien wurden bei gewaltsamen Zwischenfällen während eines Generalstreiks insgesamt mehr als 74 Menschen verletzt, darunter 18 Polizisten. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden gab es 142 Festnahmen.
In Madrid und Barcelona lieferten sich radikale Gruppen Straßenschlachten mit der Polizei. Randalierer setzten Müllcontainer und Polizeifahrzeuge in Brand. In beiden Städten wurden dabei 30 Menschen verletzt und 28 mutmaßliche Gewalttäter festgenommen. Auch in Lissabon artete eine Protestkundgebung von Tausenden von Menschen am Rande eines Generalstreiks in Gewalt aus. In Rom sprachen Reporter von Guerilla-ähnlichen Szenen.
Millionen Beschäftigte hatten in mehreren Euro-Krisenländern die Arbeit niedergelegt. In Spanien und Portugal brachten 24-stündige Generalstreiks ganze Wirtschaftsbereiche zum Erliegen. Von den Aktionen war auch der internationale Flug- u
nd Bahnverkehr betroffen.
Immer mehr Experten warnen vor schwersten Unruhen mitten in Europa. Die Straßenschlachten in Athen, brennende Gebäude in London, die angezündeten Autos in Berlin und Hamburg seien ein klares Anzeichen dafür, wie unzufrieden die Menschen in Europa seien. „Natürlich erwartet die Bundesregierung hier schwere soziale Unruhen. Man weiß, was sich da zusammenbraut, aber man verdrängt das in der Öffentlichkeit lieber“, sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Auch der US-Geheimdienst CIA kommt in einer Studie zu dem Schluß: Millionen werden im Zuge der Krise arbeitslos und verarmen. Das birgt das Risiko schwerer sozialer Unruhen und sogar eines Bürgerkriegs.
Nicht einmal die mit der Kontrolle der Geheimdienste befaßten bundesdeutschen Abgeordneten wußten bis vor einiger Zeit, daß es seit mehreren Jahren schon Pläne der EU-Kommission gibt, deren Ziel vor allem EU-Gegner und Euro-Kritiker sind. Der Planungsgruppe für diese Szenarien gehören nicht nur Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden aus EU-Staaten an.
Auch Albanien, Kroatien, Mazedonien, Norwegen, Rußland, die Schweiz, Serbien, die Türkei und die Ukraine sitzen mit am Tisch, wenn es um die Bekämpfung von „politisch motivierter Kriminalität“ mit EU-Bezug geht.
Die Sorge darüber, daß Menschenmassen in vielen Ländern zeitgleich auf die Straßen gehen und den Regierungen gefährlich werden könnten, ist derzeit das Hauptthema dieser Gesprächsrunden. Während einander in der geheim tagenden Gruppe vorwiegend Vertreter von Polizeibehörden treffen, geht es in einem noch weitaus geheimnisvolleren Arbeitskreis vor allem um den Austausch neuester Entwicklungen auf dem Gebiet der Überwachungstechnologie.
Neben den EU-Staaten sitzen dann auch Vertreter aus Australien, Kanada, Israel, Neuseeland, Südafrika und den Vereinigten Staaten mit am Tisch, zudem Forschungseinrichtungen und Firmen, die Überwachungstechnologie herstellen. Die Arbeitsgruppen bilden länderübergreifend Teams, die beispielsweise potentielle mutmaßliche Rädelsführer von inneren Unruhen beobachten und Kontaktpersonen in deren Umfeld einschleusen sollen.
Was aber sollen diese vielen gut getarnten Arbeitsgruppen in der Praxis erreichen? Nach den schweren Krawallen der vergangenen Monate in Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Bulgarien, Rumänien und mehrere Tage währenden gewalttätigen Unruhen im August 2011 in britischen Ballungsgebieten werden antimilitaristische und anarchistische, globalisierungs- und bankenkritische Gruppen ebenso wie Bündnisse von Euro- und EU-Gegnern als potentielle Gefahr für die innere Sicherheit betrachtet.