Ein großer Staatsmann
Von Jan Ackermeier
Otto von Bismarck, geboren am 1. April 1815, der Gründer des Deutschen Reiches 1870/71 und dessen erster, „Eiserner“ Kanzler, ist die prägende Figur der europäischen Politik im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zwischen 1862 und 1890 bestimmte er zunächst die preußische, später die deutsche Politik. Zunächst zutiefst antidemokratisch, kämpfte er gegen liberale Ideen und demokratische Reformen. In sein politisches Handeln fallen der Kulturkampf und die Sozialistengesetze, mit denen er gegen den Einfluß der katholischen Kirche und die aufstrebende Sozialdemokratie mit staatlicher Härte vorgegangen ist. Auf ihn gehen aber auch bis heute geltende Regelungen wie die Zivilehe und das Sozialversicherungssystem in Deutschland zurück. Es sollte kein Staatskirchentum geben, die geistliche Schulaufsicht wurde abgeschafft, der Unterricht in den Volksschulen sollte unentgeltlich sein. 1875 wurde für das ganze Reich die obligatorische Zivilehe eingeführt und der Taufzwang aufgehoben (Beurkundung des Personenstandes durch Standesämter).
Außenpolitisch setzte er die Einigung der deutschen Staaten zu einem ersten deutschen Nationalstaat durch. Dabei vertrat er aus realpolitischen Gründen die „Kleindeutsche Lösung“, die ein Deutsches Reich ohne die deutschen Teile Österreichs oder gar der gesamten Donaumonarchie bedeutete. Um dies zu erreichen, führte er in den 1860er Jahren drei Kriege: den deutsch-dänischen Krieg, den Krieg Preußens gegen Österreich und den deutsch-französischen Krieg von 1870/71, an dessen Ende die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs stand. Bismarck betrachtete das neue Deutschland als einen „saturierten“ Staat, der keines Machtzuwachses mehr bedurfte.
Der „letzte große Staatsmann Europas“, Otto von Bismarck, dachte im Sinne des überlieferten Staatensystems, das erst durch die nationalstaatliche Einigung Italiens und Deutschlands seine Vollendung erfahren hatte. Bismarcks Außenpolitik seit 1871 zielte darauf ab, die bestehenden „Machtverhältnisse Europas in einem System des Friedens zu erhalten.” Bismarck suchte ständig Freundschaft mit Rußland. Er sah in Rußland die befreundete Monarchie, deren Gewicht im Kreise der Mächte weitgehend auf dem starken deutschen Anteil an der führenden Schicht beruhte, die zudem durch die polnische Frage an die Interessengemeinschaft mit Preußen gebunden war. Rußland war für Bismarck nicht aggressive, sondern konservative Macht, deren Aufgabe in Asien lag. Das folgenreiche Ergebnis seiner Petersburger Mission 1859/62 war gewesen, daß das Zarenreich die preußisch-deutsche Einigung akzeptierte. Noch 1867 bezweifelte er, daß in Rußland jemals eine antideutsche Stimmung Oberhand gewinne. Er hat die unverbrauchte Kraft der Slawen beobachtet und wohlbedacht richtig prophezeit: „Vielleicht hält der Osten die Schlüssel der Zukunft Europas: China, Rußland oder beide“, so schrieb Bismarck in seinen „Erinnerungen“.
Bismarck baute seine Pläne auf einer scharfsichtigen Diagnose und kühnen Prognosen der weltpolitischen Lage auf. Bismarcks Politik und die Gründung des ersten deutschen Einheitsstaates waren aber auch undenkbar ohne die Rückendeckung, die Rußland ihm bot. Seine Politik war also eher eine „Revolution von oben“. Bismarck schuf in der Verfassung des Deutschen Reiches einen Kompromiß zwischen dem überlieferten monarchischen Staat und den Forderungen der Liberalen, die den Vertretern des Volkes sowohl das Recht der Gesetzgebung als auch den bestimmenden Einfluß auf die Regierung in die Hand geben wollten.
Sein politisches Ende ging einher mit dem Tod Wilhelms I. im „Dreikaiserjahr“ 1888. Wilhelm II. und Bismarck fanden politisch und menschlich nie zueinander, sodaß Bismarck 1890 als Reichskanzler und genialer Außenpolitiker zurücktrat, und mit ihm steuerte auch die deutsche Außenpolitik in eine gefährliche Isolation, die mit dazu beitrug, daß Deutschland knapp 20 Jahre nach seinem Rücktritt von Gegnern umzingelt war.
Am 30. Juli 1898 starb der Ausnahmepolitiker Otto von Bismarck auf seinem Gut in Friedrichsruh bei Hamburg.