Dritter Weg und wahrer Staat
von Sebastian Maaß
Otmar Spann – Ideengeber der konservativen Revolution
Gelesen von Nils Wegner
Regin-Verlag, Preetz 2010, 176 Seiten, s/w Abbildungen € 19,50
„Dritter Weg und wahrer Staat“ ist der dritte Reihentitel der „Kieler Ideengeschichtlichen Studien“ des Regin-Verlags betitelt. Darin richtet der junge Historiker Sebastian Maaß nach seinen Einführungswerken zu Edgar Julius Jung und Arthur Moeller van den Bruck, den antiliberalen Vordenkern der Weimarer Republik, nun seinen Blick nach Österreich.
Dort wirkte von 1919 bis 1938 an der Universität Wien der Professor für Ökonomie und Gesellschaftslehre Othmar Spann. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit und Publizistik auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre sollte er sich bald zu einem „Ideengeber der Konservativen Revolution“ entwickeln – und zwar, indem er der einzige Angehörige dieser intellektuellen Strömung wurde, dem es gelang, ein genuin eigenes politisches System zu entwickeln.
Nach einem kurzen Abriß der Biographie Spanns zeichnet Maaß ein genaues Bild seines „Wiener Kreises“. Dessen herausragende Vertreter Jakob Baxa und Walter Heinrich dienten mit ihren jeweiligen Arbeiten zur „politischen Romantik“ und dem „Ständewesen“ als Multiplikatoren und Vertiefer der Spannschen Lehre vom „ganzheitlichen“ Staat, vereinfachend auch als „universalistische Schule“ bezeichnet.
Dieser Anschauung von Politik lag eine Anlehnung an die mittelalterliche Ständegesellschaft zugrunde. Als ideengeschichtlicher Überbau stützte sich der „Universalismus“ auf idealistische wie mystische Philosophie, wie auch auf die christliche Religion. Hierbei wurde jedoch festgestellt, daß seit der Französischen Revolution eine fortschreitende Erosion der christlichen Religion als integratives Element der europäischen Kulturlandschaft stattgefunden habe. Folgerichtig zielt Maaß in einer Zwischenbemerkung darauf ab, daß heutige Erscheinungsformen eines „fortschrittsorientierten liberalen“ Christentums kaum mit Werten wie Hierarchie und Tradition zu verknüpfen seien – dabei habe gerade dieses Wertegerüst seinerzeit die christliche Lehre für Spann zu einem attraktiven Anknüpfungspunkt seiner Vision eines vielgliedrigen, „organischen“ Staatswesens gemacht.
Eben dieser komplexe „organische“ Aspekt des „Universalismus“ wird in der Folge erklärt. Ausgehend von Spanns Grundlagenwerk Kategorienlehre bemüht sich Maaß, dem unkundigen Leser die Grundzüge der ganzheitlichen Lebensanschauung zu verdeutlichen. Ebenso wie Spann selbst bedient er sich dabei vorwiegend anatomischer Gleichnisse, die die komplizierten Abhängigkeiten und wechselseitigen Bedingungen der verschiedenen „Gliederungen“ aller Lebensbereiche erstaunlich schlüssig erscheinen lassen. Im Anschluß wird die politische Publizistik Othmar Spanns, vor allem sein zentrales Buch Der wahre Staat, behandelt. Darin wird auf das Schärfste Stellung bezogen gegen den „westlerischen“, „mechanistischen“ Individualismus. Dieser sei dem deutschen Volk – in das Spann als großdeutscher Denker Österreich stets miteinbezog – von den Entente-Mächten lediglich aufgezwungen worden und habe seither einzig die Atomisierung der Gesellschaft bewirkt. Gegen diesen fortschreitenden, allgemeinen Zerfallsprozeß jeglicher Bindungen könne letztlich nur der „Universalismus“ erfolgreich sein. Auf Spanns Ansichten zur Deutschen Frage wird in einer Abhandlung zu seiner Denkschrift Vom Wesen des Volkstums: Was ist deutsch? bündig eingegangen.
Nach einer kurzen Skizze des politischen Wirkens der anderen „Spannianer“, insbesondere ihrer versuchten Einflußnahme auf die österreichischen Heimwehren und den sudetendeutsche Kameradschaftsbund, nähert sich Maaß derjenigen Frage an, der die zeitgeistige Geschichtswissenschaft die meiste Bedeutung beimißt: „Sag, wie hast du’s mit dem Nationalsozialismus?“ Hier wird schnell deutlich, daß trotz der anfänglichen Sympathie des Spann-Kreises für die Umstürzung des „mechanistischen“ Parlamentarismus der rassisch begründete Sozialismus der NSDAP sich schnell als nur eine weitere Spielart jenes Liberalismus offenbarte, den es für die „Universalisten“ zu bekämpfen galt. Anfangs versuchte man ab 1933 mit Unterstützung der deutschen Industrie, durch die Einrichtung eines „Instituts für Ständewesen“ in Düsseldorf die Einschleusung ganzheitlicher Ideologeme in den politischen Diskurs des Dritten Reichs voranzutreiben. Dies erregte jedoch bald den Widerstand der zentralistisch orientierten Parteifunktionäre, weswegen das Institut bereits 1936 wieder schließen mußte und sich die maßgeblichen Reichsbehörden fortan jegliche Einmischung aus Wien verbaten. 1941 erschien gar von Justus Beyer, dem „Chefideologen des SD“, eine als Dissertation angelegte umfassende Dekonstruktion der „Ständeideologien“. Beyer stellte diese als vollkommen unvereinbar mit der nationalsozialistischen Staats- und Lebensphilosophie dar, die sich ausschließlich an Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts ausrichte. In diese Linie der spätestens ab 1936 begonnenen Verfolgung des Spann-Kreises als staatsfeindlich reiht sich auch die Gestapo-Akte „Der Spann-Kreis – Gefahren und Auswirkungen“ an, deren zweiten Teil Maaß (ebenso wie den Vortrag „Die Überwindung des Parlamentarismus in Reich, Land und Gemeinde“ von Walter Heinrich) im Appendix des Buches vorlegt. Aus diesen Originalquellen ist klar ersichtlich, daß die „universalistische“ Staatslehre als gefährlich attraktive Alternativideologie zum nationalsozialistischen Staatsmoloch gesehen und verfolgt wurde.
Abermals ist Sebastian Maaß mit einem seiner KIGS-Bände ein beachtliches Werk gelungen. Nicht nur schafft er es, das komplexe Denken eines Vorreiters der „Konservativen Revolution“ auch für Neulinge auf diesem Gebiet verständlich zu machen; in der vorliegenden Monographie stellt er auch Originalquellen vor, die ohne seine detailverliebte Arbeit wohl noch weitaus länger in Archiven vor sich hin geschlummert hätten. Nun jedoch sind sie einer breiten Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht, und das ist ein nicht geringer Verdienst dieses vielversprechenden Nachwuchshistorikers.