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DER MAI IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG

Von Georg Hauer

Lyrik des Frühlings und der Liebe vom Minnesang bis zur Hochromantik

SV-Karte MAIDer Mai als Monat der beglückendsten Jahreszeit ist Symbol der Jugend, der Freude und der Zuversicht – ein „Wonnemonat“, der auch die dunkle Winterzeit verklären kann. Maler, Komponisten, Dichter stellen ihre Werke seit Jahrhunderten unter das Motto des Frühlings, der Natur, der Lebensfreude. Vor allem die Lyrik als die musikalischste Form der Dichtung wird zum Spiegel für die blühende Natur und das wiederkehrende Leben. Die deutsche Dichtung erlebt hier eine ihrer kunstvollsten und innigsten Gestaltungen.

Der Minnesänger des ausgehenden Mittelalters, der ohne festen Wohnsitz von Hof zu Hof, von Dorf zu Dorf zieht, weiß um die Beschwerlichkeiten des Winters. Walther von der Vogelweide beklagt die dunklen Tage, die für den heimatlos Reisenden Last und Bürde seien: „Uns hât der winter geschât über al!“ Vielleicht wäre es das beste, „des winters zît“ zu verschlafen, vom Frühling zu träumen und auf den frohen Klang der Vogelstimmen – „der vogele schal“ – zu warten. Denn eines ist auch für Walther gewiß: „Weizgot er lât ouch dem meien den strît!“ So spricht auch viel Zuversicht aus diesem Gedicht, die Überzeugung, daß trotz der Herrschaft von König Winter – „daz sîn gewalt ist sô breit und sô wît“ – dessen Macht nicht von Dauer sein werde. Kehren erst die fröhlichen Stimmen in der Natur zurück – „dâ manic stimme vil suoze inne hal“ -, dann gibt es auch wieder Blumen, wo jetzt Schnee, Eis und Reif liegen: „Sô lise ich bluomen dâ rîfe nû lît.“

Die mittelhochdeutsche Sprache des 12. und 13. Jahrhunderts mit ihrer bildhaften, klingenden Farbenpracht macht es leicht, eine Brücke zu schlagen in die klassische und romantische Welt des 18. und 19. Jahrhunderts. Wie so oft, so begegnet uns auch hier Goethe als Gewährsmann. Fausts Osterspaziergang – „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick“ – öffnet das Tor für den Blick auf die Zeit der Blütenpracht und grünen Täler. So findet der Dramatiker Goethe auch als Lyriker den rechten Ton für das Bild einer erblühten Mailandschaft. Im Gedicht „Mai“ führt uns Goethe in einen Frühling mit „leichten Silberwolken“ und einer Sonne „von Schimmer sanft umgeben“ mit dem Blick auf das lebendige Spiel der Blätter im klaren Bach: „Schwankend hin und her und hin, spiegelt sich das junge Grün.“ So geht der Klassiker Goethe einen Weg bereits ganz im Sinn des Romantikers Friedrich Schlegel, dessen „Universalpoesie“ die Grenze zwischen den einzelnen Kunstgattungen aufhebt: „Gemälde werden zu Gedichten.“

Der Wonnemonat Mai mit seiner irdischen Verbindung zu Liebe und Freundschaft, aber auch mit seiner vertrauensvollen Hinwendung zu einer von Gottes Herrlichkeit erfüllten Natur: Bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts führt uns der aus Hamburg stammende Friedrich von Hagedorn in die Welt der Anakreontik. Bei aller Leichtigkeit, vielleicht auch Oberflächlichkeit dieser von Lebensfreude bestimmten Form der Dichtung gelingen Hagedorn auch innige, von echter Empfindung getragene Zeilen: „Dich sah ich und gestand dir frei, den ersten Tag im Monat Mai, daß dir mein Herz ergeben sei. Wenn mein Geständnis dir gefallen, so ist der erste Tag im Mai für mich der glücklichste von allen.“ Im „Musenalmanach“ des Göttinger Hainbundes verbindet der Pastorssohn Ludwig Hölty aus Mariensee das Bild vom blühenden Frühling mit dem Gleichnis eines göttlichen Waltens. Seinem „Frühlingslied“ verdanken wir eines der schönsten sprachlichen Bilder über das Wiedererwachen der Natur: „Der Wiesengrund ist schon so bunt und malt sich täglich bunter.“ Und auch dies ist ein Geschenk Gottes, zur Freude des Menschen: „Drum komme, wem der Mai gefällt, und freue sich der schönen Welt und Gottes Vatergüte, die diese Pracht hervorgebracht, den Baum und seine Blüte.“

Der Mai in der deutschen Dichtung: Eine schier unüberschaubare Fülle an Beispielen beschert uns das 19. Jahrhundert. Anstelle der Minnesänger begegnen uns jetzt die reisenden, die „vazierenden“ Handwerksburschen und Studenten. Eines aber ist gleichgeblieben: die Bedeutung der Natur für das fahrende Volk. Emanuel Geibel, Lyriker aus Lübeck und Mitglied des Münchner Dichterkreises, widmet diesem Wanderleben eines der volkstümlichsten Gedichte: „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus.“ Und fast finden wir uns wieder in der Welt Walthers von der Vogelweide, wenn auch mit veränderter Sprache: „Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all – mein Herz ist wie ‘ne Lerche und stimmet ein mit Schall.“ So wird auch Geibels Lyrik zum Sinnbild einer von „Gottes Odem“ erfüllten Natur: „Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt: Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!“

In der deutschen Dichtung der Romantik nimmt Joseph Freiherr von Eichendorff einen besonderen Platz ein. Für den deutschen Dichter mit seinen schlesischen Wurzeln wird die Natur zum Urquell seines Schaffens. Die Harmonie von Dichtung, Musik und Malerei, die Einheit der Künste im Sinne von Friedrich Schlegels „Universalpoesie“ bilden für Eichendorff den Rahmen für seine Begegnung mit der Natur. Eichendorffs Welt ist bei aller gegensätzlichen Stimmung eine Welt des Frühlings: „Läuten kaum die Maienglocken leise durch den lauen Wind….“ Erinnern wir nochmals an Friedrich Schlegels Überzeugung, „in Tönen zu denken und in Worten und Gedanken zu musizieren; Gemälde werden zu Gedichten, Gedichte zu Musik.“ Auch Eichendorff geht diesen Weg. „Und nun wehen Lerchenlieder, und es schlägt die Nachtigall.“ Es ist ein Weg der Freude und des Glücks – und wohl auch ein Dank an den Schöpfer aller Dinge: „Frühling ist es wieder und ein Jauchzen überall.“

Eine Poesie, die nach Wilhelm Grabert „das Geheimnis der Natur zu Klang werden läßt“, drängt fast zur Vertonung. Zahllos sind die Beispiele des „deutschen Liedes“, von Schubert bis Brahms, von Hugo Wolf bis Richard Strauss. Stellvertretend für den reichen Schatz an Liedvertonungen sei Heinrich Heines Gedicht „Im wunderschönen Monat Mai“ angeführt, der Beginn eines Zyklus, der als „Dichterliebe“ Robert Schumann zur Komposition anregt. Der ewige Kreislauf von Frühling und Liebe – Heine gestaltet dieses Bild mit ergreifender Schlichtheit: „Da ist in meinem Herzen die Liebe aufgegangen.“ Kein Stürmen und Drängen, eher schüchtern, aber überzeugend und ehrlich: „Da hab ich ihr gestanden mein Sehnen und Verlangen.“ Ein wunderschönes Bekenntnis der Liebe – im wunderschönen Monat Mai.

Es hat sich seit den Tagen Walthers von der Vogelweide vieles verändert. Geblieben ist die Sehnsucht nach dem Frühling in des Wortes umfassendster Bedeutung. Schließen wir den Kreis: Die Zeit des Minnesangs ist auch die Zeit des Wartens auf den Mai. Auch Neidhart von Reuenthal, Ritter und Zeitgenosse Walthers, weiß um dieses Geheimnis sich stets erneuernder Wiedergeburt und findet dafür – nachstehend in neuhochdeutscher Fassung – die einfachsten Worte: „Maienzeit bannet Leid.“ Wieder werden wir an die alten Bilder erinnert: an Blumen, die dem Reif trotzen, an den süßen Klang – die „suoze“ – der wiederkehrenden Singvögel. Auch für Neidhart wird dieses Bild zur Kernaussage seiner Dichtung, wenngleich von einer fast verblüffenden Kürze und Klarheit, aber nicht weniger überzeugend: „Fröhlichkeit ist gebreit’ auf dem Feld, im Wald und auf der Auen. Auf dem Rain Blümelein groß und klein neu erschein’, weiße, gelbe, rote samt den blauen.“ Der Mai in der deutschen Dichtung: ein Füllhorn der Freude und des Glücks aus der reichen Schatztruhe deutscher Kultur.

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