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Der Machtwechsel in China

Von Albrecht Rothacher

 

Die neue Nr. 1 in China: Xi Jinping

Machtwechsel sind in Diktaturen immer kritische Momente. Diesmal gelang es der chinesischen KP zum zweiten Mal, einen politischen Generationenwechsel nach monatelangen internen Machtkämpfen nach außen wenigstens reibungslos darzustellen.

Zwar wurde der charismatische Liebling der Linken, Bo Xilai, Parteichef der südwestchinesischen Metropole Chongqing, geopfert und wartet jetzt auf seinen Prozeß wegen Machtmißbrauchs und Korruption. Seine Frau Gu Kailai erhielt wegen des Giftmordes an ihrem britischen Geschäftspartner Neil Heywood bereits lebenslänglich. Nicht, daß das alte oder neue Politbüro weniger korrupt wäre. Die New York Times fand heraus, daß die Familie des bisherigen Premiers Wen Jiabao, der immer den frugalen Großvater spielte, während seiner zehnjährigen Amtszeit ein Vermögen von 2,7 Milliarden Dollar angehäuft hatte. Seine Mutter beispielsweise verdiente 120 Millionen Dollar an Firmen, in denen sie sich vor ihrem, vom Sohn angeordneten, Börsengang billig einkaufte. Ein Bruder gewann 30 Millionen Dollar durch Regierungsverträge und Subventionen für die Abwasserklärung.

Auch die Familie des neuen Parteichefs und künftigen Präsidenten Xi hat vor seinem Amtsantritt schon ein Vermögen von mehr als 350 Millionen Dollar. Zyniker mögen meinen, um so besser für den Eigentumsschutz im kapitalistischen China, wenn die Diktatoren Milliardäre und Multimillionäre sind. Doch zieht sich die Schleimspur der Korruption bis ins letzte Dorf, in die Krankenhäuser, Universitäten und Polizeireviere – überall da, wo die Parteizellen der KP das Sagen haben. Mit dem Gefühl der Straflosigkeit und Allmacht finden massive Veruntreuungen, Verschwendungen, Rechtsbrüche, Umweltvergiftungen und Landraube statt, die in der Bevölkerung zunehmend auf Widerstand stoßen. 180.000 solcher Demonstrationen gab es allein seit 2010. Wenig überraschend verkündete der neue Parteichef Xi, die Bekämpfung der Korruption und die Beschwerden der Bevölkerung hinsichtlich Bildung, Gesundheit und Umwelt ernst zu nehmen als die Hauptaufgaben seiner bis 2023 dauernden Herrschaft über Partei und Staat.

Wer ist Xi Jinping?

Der 59jährige studierte Chemiker gibt sich im Gegensatz zu seinem stets maskenhaft und unnahbar auftretenden Vorgänger Hu Jintao als freundlicher und zugänglicher. Anders als Hu spricht er ein einfaches volksnahes Chinesisch, das auch Nichtparteimitglieder verstehen. In der Antrittsrede war viel von Chinas Größe und nur einmal beiläufig vom Sozialismus die Rede. Er ist der Sohn eines Revolutionsgenerals, der 1962 bei dem paranoiden Mao Tsetung in Ungnade fiel und unter Hausarrest gestellt wurde. Jedoch wuchs er zunächst als einer jener privilegierten roten Prinzlinge in Peking auf.

In der Kulturrevolution von 1968 wurde er als 15jähriger von den von Mao aufgehetzten Roten Garden verprügelt und, als er sich wehrte, verhaftet und dann zusammen mit 15 anderen Offizierssöhnen für die nächsten sieben Jahre in ein Dorf in den Bergen der entlegenen Shaanxi Provinz verbannt, wo er vergeblich zu flüchten suchte. Dann lebte er dort wie die meisten armen Bauern in einer Lößhöhle, hatte jedoch Zugang zu Mathematik- und Chemiebüchern, die er nachts lesen konnte. Da die Gegend von der Schweinezucht lebte, baute er in der Volkskommune die erste Biogasanlage, die mit Gülle betrieben wurde und den Bauern Hausgas zum Kochen lieferte.

1976 wurde der Vater rehabiliert und als Reformer Gouverneur der Wachstumszone Shenzen bei Hongkong. Der Junior konnte Chemie an der Elite Universität Tsinghua studieren, gebärdete sich dort “roter als rot” und wurde nach dem Studium dank der Beziehungen seines Vaters sofort Assistent des Verteidigungsministers.

Danach begann die übliche Ochsentour in Führungsfunktionen der Partei in den Provinzen: in Heibei nahe Peking, in Fujian an der südlichen Küste, wo er 1999 selbst Gouverneur wurde. Das war er dann auch in Zhejiang und in Schanghai. Dabei kultivierte er die örtlichen Geschäftsinteressen und intensivierte die Kontakte zu den Auslandsinvestoren. Gleichzeitig galt er als Gefolgsmann des damaligen Präsidenten Jiang, der jetzt noch hinter den Kulissen die Strippen zieht. 1985 studierte Xi kurzzeitig Landwirtschaft in den USA und heiratete zwei Jahre später eine populäre Volksmusiksängerin namens Peng Liyuan, die die Volksbefreiungsarmee zur Generalmajorin beförderte. Ihre Tochter studiert derweil in Harvard.

Xi spricht gern über Sport und sieht mit Vergnügen Weltkriegsfilme aus Hollywood. Ein großer Intellektueller scheint er also nicht zu sein. Ein starkes eigenes politisches Profil hat Xi bisher nicht entwickelt. Viele hoffen auf einen Reformer.  Manche befürchten einen knallharten Nationalisten, der die Spannungen mit allen Nachbarn: Indien, Vietnam, den Philippinen und Japan sowie den USA weiter anheizen könnte. Eines ist sicher: Ein Gorbatschow, der durch Reformen das kommunistische Machtmonopol verspielte, will Xi bestimmt nicht werden, kann er auch nicht. Er ist von nahezu gesichtslosen, mit schwarz gefärbten Haaren, dunklen Anzügen, Habitus und Gestik nahezu ident aussehenden Apparatschiks des Politbüros und des ZKs umgeben. Dazu wirken im Hintergrund weiter die Altpräsidenten Jiang und Hu mit ihren Fraktionen und Netzwerken sowie der privilegiensüchtige Partei- und der Sicherheitsapparat. Die hartgesottene Generalität der Volksbefreiungsarmee hat ihre eigene Machtbasis und läßt sich von der korrupten Partei immer weniger hineinreden. Weiter ist da die Macht der großen Staatskonzerne und Staatsbanken, die mit ihren begünstigten Kartellen und ihrer bürokratischen Mißwirtschaft zwar oft genug Verluste machen, doch weiter sich vor Entprivilegierungen und unerwünschtem Wettbewerb schützen konnten.

Die Errungenschaften des letzten Wachstumsjahrzehnts …

Dank der Reformen von Deng Xiaoping von 1992 wuchs die Wirtschaft Chinas während der Herrschaft von Hu Jintao, der reformunfähig die Früchte seiner Vorgänger erntete, mit doppelstelligen Jahresraten fünffach von der sechstgrößten Wirtschaft der Welt an Deutschland und Japan vorbei zur zweitgrößten. Auch bei reduzierten Wachstumsraten wird Präsident Xi im Amt erleben, wie China an den USA vorbei zur Nummer Eins der Welt vorbeiziehen wird.

Das durchschnittliche Prokopfeinkommen verfünffachte sich auf $ 5500. Das entspricht einem Balkanland wie Montenegro. China ist kein Entwicklungsland wie Afrika mehr. Es läßt sich also leben. Das Autobahnnetz wurde verdoppelt, der Rüstungshaushalt vervierfacht: mit $ 90 Milliarden zum zweitgrößten der Welt. Die Devisenreserven wurden auf 3300 Milliarden verelffacht. Die Zahl der Internetnutzer wuchs von 50 auf 600 Millionen. 95% der Bevölkerung haben jetzt eine Krankenversicherung. Auch die Bauern bekommen jetzt eine minimale Rente. Der Grad der Urbanisierung stieg von 38% auf 50%.

… und die Wachstumsschmerzen Chinas

Dennoch gilt in China das letzte Jahrzehnt als eine Phase der autoritären Stagnation. Premier Wen sprach immer nur wortreich von notwendigen Reformen. Doch umgesetzt hat er wenig. Auch sein Nachfolger Li Keqiang (55), der in seiner Studentenzeit als Liberaler galt, als Volkswirt promovierte und in der kommunistischen Jugendliga Karriere machte, gilt als führungsschwach und als Kompromißfigur wie der künftige Präsident Xi.

Das Wirtschaftswachstum ist von 12% (2010) auf 7,5% gefallen. Falls nichts passiert, das heißt Dienstleistungen und die Binnennachfrage nicht gestärkt werden, wird es laut Weltbank bis 2015 angesichts der Stagnation der Exportmärkte auf 5% fallen. Damit bleibt China, wo ab diesem Jahr die Arbeitnehmerzahlen abzunehmen beginnen, in der „Mitteleinkommensklasse” gefangen. Es wird älter, bevor es reich wird. Denn die Einkindpolitik der KP, der seit 1980 hunderte Millionen Ungeborene, vor allem weibliche, durch Zwangsabtreibungen zum Opfer gefallen sind, zeigt ihre üblen Folgen.

Mit der Abnahme der Arbeiter steigen die Arbeitskosten. Dazu kommen die überhöhten Kosten der Staatsmonopole für Telekom, Stahl, Energie und Benzin und der Unwille der Staatsbanken, an private Unternehmen Kredite zu vergeben. In der Erwartung des scheinbar endlosen Wachstums gibt es riesige Überkapazitäten vor allem bei Stahl, Solarpanelen und Stadtimmobilien und, wie in Europa, eine entsprechende Pleitenwelle.

Und wie wird China auf diese wirtschaftliche und soziale Instabilität reagieren?

Die KP hat auf ihren Ideologieschwund mit einem aggressiven Nationalismus geantwortet. Seine Speerspitze ist die Generalität der Volksbefreiungsarmee.  Sie will die früheren Demütigungen Chinas rächen, vor allem die durch Japan. Die USA werden als Papiertiger angesehen, der im dauerhaften Niedergang begriffen ist. Und man will mit neuen Flugzeugträgergruppen – die erste ist mit ukrainischer Hilfe bereits im Entstehen – den “Einschließungsring”, den die USA mit Hilfe Japans, Taiwans, der Philippinen und Vietnams aus ihrer Sicht um Chinas Küste gelegt haben, aufbrechen.

Das Ganze erinnert fatal an Deutschland 1914 und Japan 1941, die sich als aufsteigende Mächte von einem Kartell etablierter Mächte umzingelt fühlten und sich ihren Platz an der Sonne freikämpfen wollten. Noch ist China mit seiner 2,3 Millionen-Mann-Armee den USA hoffnungslos unterlegen. Doch sein Rüstungsbudget wächst jedes Jahr um 13%, und seine Generäle stimmen offen das Loblieb von Kriegserfahrungen für das nationale Wohlergehen an.

Kommt es zu ernsthaften wirtschaftlichen und sozialen Krisen, könnte Chinas schwache politische Führung in der Tat den Ausweg in aggressiven außenpolitischen Abenteuern suchen. Die Auswirkungen wären angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen für die ganze Welt höchst fatal.

Dr. Albrecht Rothacher ist Botschaftsrat der EU-Delegation in Japan.

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