„Der Größe dieses Namens wird kein Lob gerecht“
Von Ernst Brandl (DE 1/2013)
Vor 500 Jahren verfaßte Niccolo Machiavelli (1469 – 1527) mit „Il Principe“ ein Handbuch der Politik und Macht.
Niccolo Machiavellis im Jahre 1513 verfaßte Schrift „Il Principe“ ist schlichtweg (politische) Weltliteratur. Machiavelli prägte mit seinen Ausführungen – wie ein Fürst zu denken und zu handeln habe – die Gedankenwelt der Politik, ja sogar die Managerphilosophie der Jetztzeit. Das Werk ist sogar zur Grundlage einer ganzen Schule des Staatsrechts, des Machiavellismus, geworden. Vor 500 Jahren wurde diese politik-theoretische Handlungsmaxime verfaßt.
Von den zahlreichen Schriften Machiavellis hat „Il Principe“ seinen Namen verewigt. Sie erschien ihm keineswegs so wichtig, wie sie es geworden ist. Zudem wurde sie erst neunzehn Jahre nach Entstehen, posthum, gedruckt. Hauptaussage des Buches ist, daß der Zweck die Mittel heilige und daß die Stärkung des Staates Vorrang habe. Damit „erfand“ Machiavelli das Prinzip der Staatsräson – die Grundlage des modernen Staates schlechthin. Dies lag ihm vor allem am Herzen, weil Machiavelli als Kind seiner Zeit auch ein Denker und Lenker in einer Krisenzeit war.
Das Florenz um 1500, wo Niccolo am 3. Mai 1469 als Sohn eines wenig begüterten Rechtsanwalts geboren wurde, gehörte zu den Städten, in denen sich die Möglichkeiten aber auch die Gefahren der republikanischen (und städtischen) Freiheitserfahrung besonders deutlich zeigten. Von 1498 bis 1512 war Niccolo Kanzler des Rats der „Dieci di pace e di libertà“ (Rat der Zehn, wörtlich: „Zehn von Frieden und Freiheit“) der Republik Florenz. In diplomatischen Aufträgen für den Stadtstaat kam er zu den Borgias nach Urbino, nach Rom zu Papst Julius II. oder auch 1504 nach Frankreich zu Ludwig XII. und 1508 zu Kaiser Maximilian I. Der sprachgewandte Machiavelli amtierte sozusagen jahrelang als Chefdiplomat seines Gemeinwesens.
Diplomatisches Geschick war auch gefragt in jenen Tagen: In den desaströsen Kriegen immer neuer Condottieri, beim Seitenwechsel diverser Päpste und bei der Invasion diverser französischer Könige und deutscher Kaiser mußte Machiavelli das Schaukelspiel jener Jahre zur Perfektion ausbilden: mit florentinischen Gesandtschaften skrupellose Milizenführer hinhalten, notfalls Lösegelder anbieten und es sich mit den geizigen Ratsherren daheim nicht verderben. Im Jahre 1512 – nach der Rückkehr der Medici – verlor er seine Ämter und wurde auf sein Landgut in der Toskana verbannt. (Dort widmete er sich dann hauptsächlich seinem schriftstellerischen Werk, in dieser Verbannung entstand auch „Il Principe“.)
Als Denker konnte Machiavelli zeitlebens nicht klären, ob nun das Schicksal die politischen Akteure beherrsche – oder ob diese durch bestimmte Politikverhaltensgrundsätze das Schicksal zwingen könnten. „Ich kenne“, schrieb er, „den Grund nicht, weshalb verschiedene Handlungsweisen manchmal nützlich und manchmal schädlich sind.“ Machiavelli beriet sich sogar mit Astrologen und Zeichendeutern, denn der religiös (noch) recht indifferente Renaissancemensch hatte begriffen, daß die christlichen Spielregeln von Hoffnung und Glauben zur Klärung von politischen Problemstellungen wenig beitrugen – und vor allem von den vertragsbrüchigen und machtgierigen Päpsten seiner Zeit gern mit Füßen getreten wurden.
Viele Machiavelli-Zitate sind längst zu geflügelten Worten geworden („Der Zweck heiligt die Mittel“), doch wäre es einseitig, Machiavelli nur in diese machtpolitische Richtung lesen zu wollen. Das Werk ist um einiges vielschichtiger und enthält durchaus auch ironisch-sarkastische Elemente; so stellt er etwa fest: „Ein Mensch, der immer nur das Gute möchte, wird zwangsläufig zugrundegehen inmitten von so vielen Menschen, die nicht gut sind. Daher muß sich ein Herrscher, wenn er sich behaupten will, zu der Fähigkeit erziehen, nicht allein nach moralischen Gesetzen zu handeln...“
Ebenso faszinierend wie moralisch abstoßend ist Machiavellis zynische Nüchternheit – ein Realo der Renaissance sozusagen: Ein Herrscher muß geizig sein, er muß lügen können, seine Gegner umbringen, wenn es nötig ist; er muß verstehen, das Tier und den Menschen in sich zu nützen („bene usare la bestia“). Wenn es um Politik geht, müsse man „im Notfall verstehen das Böse zu tun“. Alles andere wäre Lug und utopischer Schein. Dennoch: Machiavelli ist kein blinder Befürworter der Tyrannis, denn wenn der Herrscher seine Macht übertreibt, kann sich diese auch gegen ihn wenden. Zu verstehen ist das Werk vor der zerrissenen Situation im Italien der Zeit – schlimmer als jeder Tyrann scheinen Städte, die sich in internen Bürgerkriegen zerfleischen.
500 Jahre nach der Abfassung zeigt Machiavellis Werk noch immer seine Gültigkeit, man möchte fast sagen: leider. Viele der Politmaximen sind nach wie vor gültig und hochaktuell – man denke nur an das Primat der „Staatsräson“, in deren Namen bis heute – etwa beim schurkisch inszenierten Irak-Krieg von Bush und Blair – die „alltäglichen“ Politverbrechen begangen werden.
Der „Principe“ ist bis in die heutige Zeit immer wieder aufgelegt worden, er wurde in alle Kultursprachen übersetzt, immer wieder kommentiert, angefochten und leidenschaftlich verteidigt. Jenseits der Politik vermittelt die Schrift auch den Geist der italienischen Renaissance, und allein deshalb ist die Schrift immer noch lesenswert. Nicht nur für (angehende) Politiker.
Übrigens: Die Inschrift auf dem Grabmal Machiavellis in der Kirche Santa Croce in Florenz, gesetzt von einem britischen Bewunderer des Philosophen, lautet: „Der Größe dieses Namens wird kein Lob gerecht“ („Tanto nomini nullum par elogium“)!