Anonymität ade?
Die Norwegen-Attentate und das Internet
von Alexander Graf
Es muß wohl eine dunkle Vorahnung gewesen sein, welche Teile der konservativen Publizistik in der Bundesrepublik Deutschland beschlich, als klar wurde, daß der Verantwortliche für die Attentate von Norwegen kein islamistischer Terrorist war. So war denn auch die Befürchtung, daß die politische Linke durch die Taten des Anders Breivik ihre Überzeugung vom „Extremismus aus der Mitte der Gesellschaft“ bestätigt sehen würde, nur zu berechtigt. Denn es kam im vorausschaubaren Politbetrieb der zweiten Republik zu den zu erwartenden Reflexen, allerdings nicht nur durch die nominell Linken.
Die Zahl der Opfer war noch nicht abschließend festgestellt, da preschten die üblichen Verdächtigen aus Politik und journalistischer Riege vor. So forderte der Extremismusforscher Fabian Virchow in der Frankfurter Rundschau vom 25. Juli eine stärkere Überwachung „der rechten Szene“, welche offensichtlich vernachlässigt worden sei. Unabhängig davon, daß er in seinen Aussagen Breivik mal dem neonazistischen und dann wieder dem christlich fundamentalistischen Milieu zuordnete und nicht näher ausführte, was denn unter „der rechten Szene“ zu verstehen sei, müsse nun stärker überwacht werden. Denn das Gedankengut der Rechten würde sich notwendigerweise zu Gewalt entwickeln, wie er ausführte.
Die vermeintlichen geistigen Brandstifter und damit zumindest moralisch Mitschuldigen waren schnell gefunden. Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder als bekannteste deutsche Islamkritiker, der Blog politically-incorrect.de und ähnliche Netzwerke, wie auch konservative Zeitungen wie die Junge Freiheit gerieten ins Fadenkreuz. Offensichtlich bedurfte es noch ein paar Tage der Recherche in den Redaktionsstuben der großen Medien, und schon ließen sich weitere angebliche Querverbindungen präsentieren. So schlug das ARD-Magazin „Panorama“ ausgehend von den Ereignissen in Norwegen einen Bogen zur NPD und den Autonomen Nationalisten. Wen wundert es da, daß ausgerechnet in diesen Tagen wieder ein NPD-Verbot gefordert wurde.
Das 1500 Seiten starke „Manifest“ Breiviks, in dem er ausgiebig Textteile des islamkritischen Bloggers Fjordman verwendet, löste in der BRD wieder einmal eine realitätsfremde Diskussion über die Kontrolle und letztlich die Zensur des Internets aus. Denn laut Ulla Jelpke von der Linkspartei würden durch Blogs und andere anti-islamische Seiten „terroristische Akte wie in Oslo regelrecht ermutigt“.
Ironischerweise ist man sich bei der Überwachung der kreuzgefährlichen Islamgegner lagerübergreifend einig. Ruprecht Polenz von der CDU teilte die Sorgen von linksaußen und äußerte ebenfalls Kritik an politically-incorrect.de und wunderte sich, warum diese Seite nicht überwacht werde. Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) forderte gleich öffentlichkeitswirksam im Spiegel-Interview eine Aufhebung der Anonymität im Internet. Abgesehen davon, daß dies rein technisch unmöglich ist, kann der Hohn dieser Forderung nur denen entgehen, die in ihrer eigenen Welt leben.
Hält man sich vor Augen, welche hysterischen Hexenjagden Sarrazins Buch oder Demonstrationen gegen Moscheegroßbauten hervorriefen, ist es wohl allzu verständlich, daß sich nicht jedermann mit vollem Namen an Diskussionen im Internet beteiligt. Denn nicht jeder Bürger kann sich auf prominente Fürsprecher verlassen oder zumindest den Arbeitsplatzverlust aufgrund seiner Aussagen finanziell durch ein Buch abfedern. An dieser Stelle verkennt der Bundesinnenminister mit seiner naiven Forderung die Lage im Land, bei der ein hoher Druck auf denjenigen lastet, welche die Dinge beim Namen nennen. Daß Friedrich im selben Interview zum Besten gibt, man könne ja in Deutschland über alles reden, sofern die Meinungsfreiheit respektiert werde, läßt den aufmerksamen Leser doch einen Moment lang schmunzeln.
Nach der obligatorischen Schelte durch die Opposition ruderte Friedrich zurück und sprach nur noch von einem „Appell an die Zivilgesellschaft“. Die SPD lieferte gleich das passende Mittel, wie die zivilcouragierte Gesellschaft trotz Internet-Anonymität handeln sollte. Laut Sozialdemokraten sei es doch der bessere Weg, in Diskussionsforen „Auffälligkeiten rasch zu melden.” Denunziantentum ist natürlich der edlere Weg. Kein Wunder, daß unlängst Altbundespräsident Roman Herzog anzweifelte, daß es in Deutschland noch wirkliche Demokratie – und damit Meinungsfreiheit – gebe.
Was bleibt im Abstand einiger Wochen nach den Ereignissen in Norwegen über deren mediale Nachbeben zu bemerken? Entgegen aller beteuerten Pietät und Anstandsgefühle sind die Taten von Teilen der politischen und journalistischen Klasse sehr wohl instrumentalisiert worden – wie zu erwarten. Islam- und einwanderungskritische Stimmen stehen nun unter noch höherem Druck. Glücklicherweise steht mit dem Internet ein Medium zur Verfügung, in dem sie und alle anderen ihre Meinungen frei äußern können.