Dr. Bruno Kreisky 1911 – 1990
Dem am 20.1.1911 in Wien geborenen Bruno Kreisky war eine sozialdemokratische Laufbahn nicht in die Wiege gelegt. Dennoch kam der zweitälteste Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie schon in der Mittelschulzeit mit der Sozialdemokratie in Kontakt. Mit 15 Jahren schlioß er sich den Sozialistischen Mittelschülern an und gehörte ab 1934 der illegalen Revolutionären Sozialistischen Jugend an. Wiederholt nahm das klerikal-faschistische Dollfuß-/Schuschniggregime den jungen Revolutionär in Haft. 1936 wurde er im „Sozialistenprozeß“ zu einem Jahr Kerker verurteilt. Bekannt geblieben sind seine Verteidigungsworte: „Es gibt keine andere Lösung als den Sozialismus. Ich halte den Klassenkampf für das einzige Mittel der Arbeiterschaft“. Trotz behördlicher Verfolgung konnte er sein Jusstudium beenden. Erst am 14. März 1938 – am Tage nach dem Anschluß – legte er seine letzte Prüfung ab. Auch das neue Regime nahm ihn sogleich in Haft, aber erstaunlicherweise konnte er im August 1938 das Studium mit einer „Einzel-Nichtarierpromotion“ abschließen. Bald danach reiste er unbehelligt nach Schweden aus. Über die Hintergründe wird gerätselt. Vielleicht haben ihm NS-Haftgenossen aus dem Schuschnigg-Anhaltelager geholfen.
In Stockholm lebte er als Schriftsteller und Journalist, freundete sich mit Willy Brandt an und organisierte nach dem Kriegsende humanitäre Hilfen für das besetzte Österreich. Erst 1949 konnte er zurückkehren. Eine Bilderbuchkarriere des begabten Mannes folgte. Zunächst wurde er Kabinettsdirektor des Bundespräsidenten und 1953 Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten. In dieser Funktion hatte er maßgeblich Anteil am Zustandekommen des Staatvertrages von 1955. Ab 1956 war er Abgeordneter, von 1959 – 1966 Außenminister. Nach der Wahlniederlage der Sozialisten 1966 setzte er sich gegen den Betonsozialisten Bruno Pittermann durch. Öffnung und Erneuerung hatte Kreisky auf seine Fahnen geschrieben. Die Wahl 1970 gewann er und konnte zunächst mit Unterstützung der FPÖ regieren. 1971, 1975 und 1979 erreichte der überlegene Taktiker die absolute Mehrheit und konnte alleine regieren. Als er 1983 nur noch die relative Mehrheit hatte, trat er zurück, brachte aber noch die rot-blaue Koalition Sinowatz-Steger auf den Weg, die nach dem Auftreten Haiders aber zerbrach.
Der schwerkranke Kreisky zog sich ins Privatlegen zurück, überwarf sich mit seinen Nachfolgern und legte den Ehrenvorsitz der Sozialdemokratie zurück. Am 29.7.1990 starb Bruno Kreisky in Wien und wurde in einem Staatsakt auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.
Innen- und Außenpolitisch hat Bruno Kreisky viel bewegt. Die innenpolitisch wichtige Annäherung zwischen Kirche und Sozialdemokratie brachte er auf den Weg. Durch die Ansiedlung von UN-Organen in Wien hat er dessen internationale Bedeutung gestärkt. Der Nord-Süd-Konflikt und die Nahostfrage haben den stark zur Außenpolitik neigenden Kreisky sein Leben lang beschäftigt. Vor allem sein Eintreten für die Rechte der Palästinenser hat ihm die Feindschaft Israels eingebracht.
Seine Vergangenheit hinter Stacheldraht hatte Kreisky liberal gemacht. Er war vor allem kein Ausgrenzer und suchte auch mit dem national-freiheitlichen Lager stets ein Gespräch auf Augenhöhe. Dabei mochten gemeinsame Erlebnisse in den Anhaltelagern eine Rolle gespielt haben. Von den 11 Mitgliedern der Regierung Kreisky I waren vier ehemalige NSDAP-Mitglieder. Die Unterstützung dieser Regierung durch die FPÖ brachte unter anderem eine Rechtsänderung zu einem auch für kleinere Parteien fairen Verhältniswahlrecht. Seine unbefangene Haltung gegenüber dem Dritten Lager, vor allem gegenüber dem vormaligen FPÖ-Obmann Friedrich Peter, führte dazu, daß ihn der der ÖVP nahestehende Nazijäger Wiesenthal ins Visier bekam. Kreisky ließ sich auf einen lange andauernden Streit ein und bezichtigte Wiesenthal politischer Maffiamethoden. Vielleicht erinnert sich der heutige Bundespräsident daran, daß er im Auftrag Kreiskys eine parlamentarische Untersuchung der Tätigkeit Wiesenthals vorbereitete.
Zur Frage des Deutschtums hatte Kreisky ein zeitgeistiges, aber entspanntes Verhältnis. So meinte er, daß sich die Juden Mährens, aus dem seine Vorfahren kamen, stets als Kulturdeutsche fühlten.
Der listenreiche Kreisky hatte trotz seiner Vorliebe für Wortwitz und Winkelzüge doch etwas vom alten sozialdemokratischen Ethos an sich. Darin konnten oder wollten ihm seine Nachfolger, rote Machertypen ohne Tiefgang, nicht folgen. Sie folgten Kreisky in jenem Teil seiner Politik, die noch heute negativ zu Buche schlägt. Das eingängige Wort Kreiskys, ihm seien einige Milliarden Schulden lieber als 100.000 Arbeitslose, legte in Wirklichkeit den Grundstein zu einer verantwortungslosen Gefälligkeitsdemokratie. Der Wählerkauf auf Kosten nachkommender Generationen ist zum Staatsprinzip geworden. Die Arbeiterschaft wurde im Ergebnis nicht befreit und ist vom Großkapital abhängiger denn je. Dennoch sollte man Bruno Kreiskys als einer der wichtigsten politischer Erscheinungen der Zweiten Republik gedenken. Karl Katary