Österreich bewaffnet sich
Von Jan Ackermeier
Seit dem letzten Viertel des vorigen Jahres erleben die Waffenfachhandlungen einen regelrechten Kaufrausch bei Waffen zur Selbstverteidigung: Flinten, Pistolen und Pfeffersprays sind nahezu ausverkauft. Auch die Behörden melden einen sprunghaften Anstieg bei der Beantragung und Ausstellung von Waffenbesitzkarten.
Die Anträge auf eine Waffenbesitzkarte stiegen vor allem in Wien im Oktober 2015 drastisch an: Während im August in Wien nur zehn Personen die Erlaubnis für den Besitz einer Pistole haben wollten, waren es im Oktober bereits 192.
Fast 900.000 Waffen lagern bereits mit Stichtag 31. Dezember 2015 in österreichischen Haushalten – Tendenz stark steigend. Über 70.000 Waffen wurden im Vergleichszeitraum des Vorjahres bisher mehr verkauft. In Summe wäre die Zahl der Feuerwaffen damit in Österreich allein in 15 Monaten um fast neun Prozent angestiegen. Das heißt aber nicht, daß diese Waffen auch neu in Umlauf gekommen seien. Mitte 2014 ist die Frist zur Registrierung von Waffen im Zentralen Waffenregister (ZWR) abgelaufen – sprich, Waffen, die bereits im privaten Besitz waren, wurden dann registriert. Bei diesem Verwaltungsprozedere sind viele Anträge beim ZWR liegengeblieben. Diese Registrierungen machen einen beträchtlichen Teil der Steigerung aus. Dennoch ist das Ansteigen der Waffenverkäufe besonders seit Beginn der Asylkrise deutlich zu spüren. Allein bei den Verkaufszahlen von Pfefferspray berichtet die Branche von einem Plus bis zu 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Die starke Nachfrage konzentriert sich vor allem auf den urbanen Raum und besonders den Osten, so der Sprecher der Waffenhändler Österreichs Robert Siegert. Aber auch im Grenzland sind Anrainer der Flüchtlingsrouten besorgt. Im Innviertel etwa, das zuletzt täglich tausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland durchquert haben, herrscht vielerorts Verunsicherung.
Thomas Ortner, der Sprecher der Waffenhändler in Oberösterreich, hat diesen Trend ebenso bestätigt. Derzeit seien praktisch alle Schrotflinten ausverkauft, weil man für sie keine Waffenbesitzkarte brauche. Der Fachhandel berichtet bereits seit Wochen von einer wachsenden Zahl an Personen, die einen Waffenführerschein erwerben möchten. Dieser Führerschein ist in Österreich Voraussetzung, um bei der Bezirkshauptmannschaft oder bei der Polizeidirektion ein Waffendokument zu beantragen. „Führerscheinkurse“ für Pistolen finden normalerweise alle fünf Wochen statt, so Ortner. Derzeit aber würden diese jede Woche veranstaltet.
Die Gründe für das steigende Sicherheitsbedürfnis der Bürger sehen die etablierten Medien jedenfalls nicht nur ursächlich im Zusammenhang mit der Asylkrise. Die Postenschließungen bei der Polizei, verbunden mit der Befürchtung, daß die Kräfte der Polizei im Grenzeinsatz so gebunden seien, daß sie anderswo fehlten spielen eine große Rolle. Dennoch weigert sich die Polizei, den Anstieg bei der Waffennachfrage auf die Asylkrise zurückzuführen. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß sich immer mehr Menschen durch die sozialen Veränderungen der letzten Zeit verunsichert fühlen.
Die Polizei jedenfalls hat keine Freude mit der wachsenden Bewaffnung der Bevölkerung. Besonders vom Einsatz von Pfeffersprays rät die Exekutive ab. Der Einsatz von Pfefferspray oder Tränengas könne durch ungeschulte Personen auch gefährlich sein. Bei Gegenwind könnte man sich etwa mit den beißenden Inhaltsstoffen selbst verletzen.Es gäbe auch dokumentierte Fälle, in denen der Einsatz von Tränengas die Angreifer noch aggressiver werden ließ, versucht die Polizei, ihre Position zu verdeutlichen.
Eine zweite Problematik sei, daß eine Attacke mit Pfefferspray oder Tränengas ein gerichtliches Nachspiel haben könne. Denn nur weil eine Person eine Situation als derart bedrohlich erlebe, daß sie eine Selbstverteidigungswaffe einsetze, müsse nicht heißen, daß es auch eine tatsächliche Bedrohung gegen Leib und Leben gegeben habe. Die Polizei verweist in Fragen des schwindenden Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung jedenfalls auf die Verantwortung der Politik. Bei der derzeitigen Politik sind die Bürger indes offenbar weiterhin gut beraten, wenn sie für ihre Sicherheit selbst sorgen.