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Gustav Mahler: „Die Welt in Töne setzen …“

Von Ernst Brandl

Gustav Mahler

Vor 100 Jahren wurde in Wien Mahlers Neunte Symphonie uraufgeführt

Mahlers „Neunte“ stellt wohl den Gipfel der spätromantischen symphonischen Kompositionskunst am Vorabend der Moderne dar. Ein ebenso meister- wie rätselhaftes Werk, das seiner Zeit weit voraus war und auch heute noch sein Publikum zugleich verwirrt und berührt. Mahler selbst hat die Uraufführung nicht mehr erlebt, welche am 26. Juni 1912 in Wien stattfand.

Das Werk von Gustav Mahler (1860 – 1911), jenem so bedeutenden österreichischen Komponisten, Dirigenten und Operndirektor, ist hundert Jahre nach seinem Tod im Orchesterrepertoire so fix verankert und vielgespielt, daß man fast befürchten muß, seinen Symphonien blühe das gleiche Schicksal wie etwa Beethovens Neunter. Auch dieses Meisterwerk hat mittlerweile beinah schon den Stellenwert repräsentativer Festmusik, und die Allgegenwärtigkeit und geschliffene Aufführungsroutine droht den Zugang zur atemberaubenden Botschaft zu verstellen.

Wie viele Komponisten vor und nach ihm war auch Mahler von einer beinah abergläubischen Furcht erfüllt, eine „Neunte“ Symphonie zu komponieren. Auch Mahler schreckte vor dieser schicksalsschweren Benennung zurück, denn Beethoven, Schubert, Bruckner, Dvorak – sie alle waren über ihre 9. Symphonie nicht hinausgekommen. Gustav Mahler fürchtete, mit der „Neunten“ seinen Tod „herbeizukomponieren“.

Und wahrhaftig, als Mahler seine 9. Symphonie komponiert, wird sein Leben von gleich mehreren existenziellen Schicksalsschlägen geprägt. Die Jahre nach 1907 gelten in der Mahler-Forschung als Jahre der Krise. Nach seiner nachgerade gigantomanischen 8. Symphonie, veränderte sich Mahlers Leben grundlegend. Die Symphonie entsteht in einer Zeit der fundamentalen Lebensumbrüche. Seine erfolgreiche, aber turbulente „Herrschaft“ an der Wiener Hofoper war zu Ende gegangen. Nach mehreren erfolgreichen Jahren als Hofopernintendant in Wien kommt es zu schweren Zerwürfnissen mit anderen Mitgliedern der Hofoper. In beiderseitigem Einvernehmen gibt Mahler sein Amt ab. Er beginnt eine Zusammenarbeit mit der „New York Metropolitan Opera“. Doch verschafft ihm diese Anstellung nicht die erhoffte künstlerische Erfüllung oder gar finanzielle Sicherheit, dazu die niederschmetternde Diagnose einer schweren Herzkrankheit. Als seine älteste Tochter an Scharlach stirbt, vergräbt sich Mahler in seine Arbeit. Seine Frau Alma, die sich offenbar vernachlässigt fühlt, sucht Trost bei  einem anderen Mann – bei Walter Gropius.

Kein Wunder also, daß die Neunte den Komponisten und Menschen Mahler zerissener und verzweifelter denn je zuvor zeigt. Karriereumbrüche, Krankheit und Tod – „wie sollte ich die Darstellung einer solchen ungeheuren Krise versuchen!“, notiert Mahler sinnend. Bitterkeit, Verzweiflung und Ironie und prägen deshalb auch die Stimmung des Werkes. Des Komponisten gequälte Seele findet Ausdruck in dieser Symphonie, über die Alban Berg später schreiben sollte: „Der erste Satz ist das Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat. Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, in Frieden auf ihr zu leben, sie, die Natur, noch auszugießen bis in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt.“ In der Mahler-Exegese gilt diese Symphonie als Totenlied des 19. Jahrhunderts mit beinah schon gespenstischen Vorahnungen auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts.

Mahlers Universum ist weit und komplex, nicht nur im musikalischen Sinne, sondern auch in dem, was hinter den Noten steht. Dazu passen die Extreme in diesem Weltgetriebe, in dem wir leben, die Krisen- und Todesängste, die Unmenschlichkeit – leider, möchte man sagen – sehr gut zur Dramatik von Mahlers Musik. Der Pessimismus in seiner Musik, aber Gott sei Dank auch die Inseln der Poesie, der Spiritualität und der Hoffnung finden eine Entsprechung in unserem Leben. Das alles will das Publikum erleben. Die Zuhörer wissen, daß die Aufführung einer Mahler-Symphonie nicht nur eine musikalische Erfahrung ist, sondern auch menschlich trifft.

Viele Mahler-Exegeten bezeichnen die Neunte Mahlers als seinen kompositorischen Abschied. Über die letzten Takte schrieb Mahler „ersterbend“. Die Musik löst sich im Nichts auf, sie verstummt im wahrsten Sinn des Wortes – eine Epoche ging zu Ende. Mahler selbst konnte seine Neunte nicht mehr hören, erst 1912 erklang sie in Wien unter Bruno Walter zum ersten Mal.

 

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